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Dienstag, 27. Februar 2024

Moonwalk in der Zahnarztpraxis und weitere Lustbarkeiten

Bericht vom 21. außerordentlichen Filmkongress des Hofbauer-Kommandos (4.-7. Januar 2024)


Donnerstag, 4. Januar 2024


Nürnberg, KommKino

ab 15.00 Uhr


SIE LIEBTEN SICH EINEN SOMMER
Regie: Harald Reinl
BRD/Italien 1972
35mm, dt. OV
Der Maler Stefan verliebt sich in die Krankenschwester Claudia. Dem trauten Liebes- und Eheglück steht nichts mehr im Weg, denn Stefan erhält von einem italienischen Mäzen einen großen Auftrag. Doch Claudia wird bei einem Unfall im Krankenhauslabor einer tödlichen Dosis radioaktiver Strahlung ausgesetzt...

Reinls Melodrama im Fahrwasser von LOVE STORY zeichnet durch eine ausgezeichnete Inszenierung im visuellen Bereich aus: den über Jahrzehnte gereiften Routinier sieht man in fast jeder Einstellung an, der Film ist wunderschön anzusehen und strotzt vor kleinen visuellen Einfällen (da ist natürlich immer wieder der Schwenk zur Büste von König Ludwig I. in Stefans Wohnung, oder der Einfall, das gemeinsame Einschlafen Stefans und Claudias mit einem Schwenk auf Claudias Pantoffeln zu beenden – die Pantoffeln, die dann nach einem Schnitt weg sind, wenn Stefan aufwacht und nach Claudia sucht, die sich im Badezimmer gerade übergibt). Im zweiten Teil des Films, wenn das Paar seine "Hochzeitsreise" in Rom feiert, kann der Film geradezu genüsslich in wunderschönen Postkartenmotiven schwelgen. Das sieht auch trotz des vorangeschrittenen Rotstichs der Kopie sehr beeindruckend aus.

Weniger beeindruckend sind das Drehbuch und die beiden Hauptdarsteller Amadeus August und Gundy Grand: die zentrale Liebesgeschichte (über die dann auch die großen Gefühle des Melodrama ausgelöst werden sollten) hat für mich einfach nicht funktioniert. Dass August mit wenig und Grand mit gar keinem Charisma gesegnet ist und beide überhaupt gar keine Chemie haben – geschenkt. Dass Stefan als manipulativer Stalker rüberkommt, der seine Angebetete auf Arbeit verfolgt, ihr Auto besetzt und seinen Ausweis in ihrer Handtasche "verliert", um ein Date zu erpressen, lässt ihn schon maximal dubios wirken – aber keinesfalls romantisch. Zudem ist SIE LIEBTEN SICH EINEN SOMMER furchtbar verbos, zugekleistert mit furchtbaren, hölzernen Dialogen, bemüht witzig – es soll wohl Screwball-Comedy sein, aber meist ist es teutonischer Schraubenball-Klamauk.

Und wie Claudia durch schiere Dummheit den Unfall mit dem Strahlengerät im Labor auslöst (sie spielt mit einem nicht-gesicherten Prototypen rum – und lässt diesen mitten beim Rumspielen strahlend stehen, um mit Stefan zu telefonieren), lässt schon an ihre Eignung für irgendwelche Tätigkeiten außerhalb eines sehr passiven Trophy-Wife-Daseins zweifeln. Die Szenen mit dem Strahlengerät sind eh eine Sache für sich: innerhalb eines extrem detailverliebt ausgestatteten Films sind es karge, triste Studioräume, ein riesiger Hebel mit den Aufschriften "An" und "Aus" markieren den Eingang des Strahlungsraums (und auf etwas unterkomplexe Weise die Funktionalität des Geräts). Wenn es "spannend" werden soll, dröhnt eine karikatureske, plumpe "Spannungsmusik" aus der Dose – während das Hauptthema, das Liebesthema, eine aufwändig auskomponierte, filigrane und wunderschöne Musikbegleitung zum Film ist. Das wirkt fast so, als wäre der Erzählstrang zur Erkrankung Claudias später mit hurtigen Nachdrehs in den Film reingeschmuggelt worden.

Ich kann nicht drüber hinwegsehen, dass ich Stefan als absolut unsympathische Figur empfinde. Seine zwei Nachbar-Buddies hingegen haben einen Platz in meinem Herzen gefunden: da ist Boris, der Typus des "dicken Schlemmers", der bei einem Besuch bei Stefan schon mal die Hälfte von dessen Brot wegschneidet, dick (wirklich dick! also wirklich!) mit Butter bestreicht und schwärmt, wie toll es schmeckt – und zur Vermittlung einer Blutspende die "Dauerwurscht" aus dem Esspaket als "Kommission" verlangt. Und der Italiener Nino, der sich in eine bezaubernde junge Dame namens Rosy verliebt, die ihn nicht nur mit ihrer Präsenz, sondern auch mit schönen Geschenken beglückt – das Geld dafür sammelt sie ohne Ninos Wissen auf dem Straßenstrich, wie Stefan und Claudia bei einem späten Bummel durch die Straßen erschrocken und leicht angewidert merken. Angewidert sollte wohl auch das Publikum sein – als geneigter Besucher des Hofbauer-Kongresses wünscht man sich aber natürlich lieber einen eigenen Film zu Ninos und Rosys Geschichte.

Nach einer ersten Sichtung im Kommkino im September 2023 habe ich SIE LIEBTEN SICH EINEN SOMMER nun zum zweiten Mal gesehen. Ich mag den Film als Gesamtpaket immer noch nicht, auch, wenn mir einzelne Elemente sehr gefallen. Eine gewisse Faszination kann ich nicht leugnen.



ab 17.00 Uhr


LA BALANDRA ISABEL LLEGÓ ESTA TARDE ("Das Teufelsweib von Santa Margarita")
Regie: Carlos Hugo Christensen
Argentinien/Venezuela 1949
35mm, DF
Der Schiffskapitän Segundo führt ein bescheidenes, aber grundsolides und gutbürgerliches Leben mit kleinem Eigenheim am Strand, liebevoller Ehefrau und heranwachsendem Sohnemann. Aber ist es wirklich so grundsolide? Bei Überfahrten zur Insel Santa Margarita verfällt er dort im Rotlichtviertel der Femme Fatale Esperanza.

Nach Salzwasser, Blut, Tränen und Schweiß schmeckt dieses noir'ische Melodrama des dänisch-stämmigen Argentiniers Christensen (seines Zeichens eine tragende Säule des argentinischen Kinos der Zeit). Besonders der Schweiß hat es Christensen und dem spanischen Kameramann José María Beltrán (der dafür bei Cannes einen Preis gewann) angetan: das tropische Klima in Venezuela ist natürlich schweißtreibend, aber noch mehr scheint es die innere Glut, ja die schiere Geilheit zu sein, die den Figuren Strömen von Schweiß ins Gesicht treibt. Bei Segundo ist der Fluss dieses Körpersafts nach Ankunft in Santa Margarita fast unaufhörlich. Bei Esperanza ist er kontrollierter – ein dünner, öliger Schweißfilm bedeckt ihr Gesicht und lässt sie dadurch nicht nur in der schummerigen Beleuchtung der Rotlichtviertel-Kaschemmen, sondern nachts besonders im hellen Mond-Licht als wahrlich verführerische Femme Fatale der Tropen erstrahlen.

Der Mexikaner Arturo de Córdova und die Argentinierin Virginia Luque sind vielleicht nicht die charismatischsten Schauspieler der Welt, aber sie machen ihre Sache gut (und feucht). Die Charisma-Kracher gibt es in den Nebenrollen: die Kubanerin América Barrios als komplett entrückt-verrückte Prostituierte Maria, die in ihrer eigenen Parallelwelt lebt und zwischendurch die Handlung aufbricht, wenn sie Segundo oder andere Seemänner in ein irrsinniges, absurd-surreales Gespräch verwickelt – eine Straßenphilosophin im Rotlichtviertel. Ihre lebensweltliche Cousine sitzt in der Kaschemme, in der Esperanza auftritt: eine ältere Frau, die von allem um sie herum – sei es Esperanzas expressiver Gesangsauftritt oder eine wüste Kneipenschlägerei – völlig kalt gelassen wird und ganz entspannt, wortlos ihr Bier trinkt, komme was möge. Ein weiterer Hingucker ist der Venezolaner Tomás Henriquez als Voodoo-Zauberer und Betrüger: ein Mann der wenigen Worte, der mit seinem markanten, vernarbten Gesicht alles Bedrohliche der Welt ausdrückt.

LA BALANDRA ISABEL LLEGÓ ESTA TARDE hat mir gut gefallen mit seinen Zutaten aus Melodrama, Noir-Elementen, Rotlicht-Seediness und tropischer Hitze. Inszenierung und Schnitt sind nicht immer ganz on point, aber der Film ist trotzdem voller beeindruckender und markanter Bilder: natürlich das schweißge Tête-à-tête zwischen Esperanza und Segundo im Mondschein, der von Regen- und Abwasser triefende Aufstieg zur Kaschemme auf der Anhöhe und beim Höhepunkt natürlich Esperanza, die bedrohlich vor einer lichterloh brennenden Hütte in einem geradezu apokalyptischen Tableau ihre Frau steht.



ab 21.15 Uhr


WUNDERLAND DER LIEBE – DER GROSSE DEUTSCHE SEXREPORT
Regie: Dieter Geißler
BRD 1970
35mm, dt. OV
Wie steht es um die Liebe im Land der teutonischen Begrenztheiten? Und was ist eigentlich mit Sex?

Auch wenn WIR LASSEN UNS DAS SINGEN NICHT VERBIETEN im gleichen Zeit-Slot am nächsten Tag der emotionale Höhepunkt dieses Kongresses war – WUNDERLAND DER LIEBE war der Kracher to bang'em all! Eine Tour de Force des Unfassbaren und ein Strudel des Unglaublichen. Kinobesucher, Kondom-Produzenten, Kommunenbewohnerinnen und -bewohner, Aktionskünstler, homosexuelle Renegaten des katholischen Klerus, nordische Gigolos, Bewohner und Besucher von Sylt, provinzielle Stripclub-Betreiberinnen zwischen den Geschlechtern, Begründer exotischer Randparteien und Jürgen Drews als Liebhaber und Modellflugzeug-Liebhaber sind die Protagonisten dieser trotz rotstichiger Kopie kunterbuntester Nummer des diesjährigen Kongresses. Manch gestandener HK-Besucher sprach von "bester Reportfilm überhaupt".

Natürlich strotzt der Film nur so von unglaublichen Personen. Der Publikumsliebling der HK-affinen Herzen dürfte der Hamburger Gigolo sein, der in einem ununterbrochenen, stromartigen und mehrminütigen Monolog seine Tätigkeit als männlicher Prostituierter erklärt, diverse pikante, absurde und groteske Geschichten über seine verschiedenen Kundinnen preisgibt (manche wünschen sich eben, mit Bratkartoffeln beworfen zu werden) und seine teils libertären, teils zynischen Lebensweisheiten verrät (bei ihm sagen die Frauen offen, wenn sie sich lecken lassen wollen, weil ihre Männer zu sehr mit Arbeit beschäftigt sind, um das zu tun und ihre Frauen zu befriedigen) – 99% aller Poetry-Slammer und Rapper dieser Welt können sich nur im Traum wünschen, einen derartig dichten Strom der Gossenpoesie von sich zu geben. Knapp am Publikumslieblingspreis schrammte der Gründer der Deutschen Sex-Partei (Joachim Driessen), der in seinem biederen Anzug und dem Gesicht eines Schwiegermutter-Lieblings von der befreienden Kraft des Sex und einer gemeinsamen, deutsch-polnischen Anstrengung zur Erotisierung der Oder-Neisse-Grenze schwärmte, während seine leicht, na ja, eigentlich unbekleidete Sekretärin ihm ab und zu einen Zettel in die Hand drückte. Einer der denkwürdigsten Details des Kongress-Wochenendes gab es im Interview mit den Mitgliedern des Musiker-/Aktionskunst-Duos "Anima-Sound" zu sehen: beide Duo-Mitglieder und Eheleute saßen während der Befragung am Wohnzimmertisch und bissen zwischendurch in ihre Schnittchen – er hielt allerdings sogar mitten in seiner Antwort an, nahm das Konfitürenglas und tropfte die Konfitüre aus dem Glas geduldig auf seine Brotschnitte.

À propos Essen: besonders bizarr war das Buffet mit den Mitgliedern einer Kommune. Als Bedingung, um sich filmen zu lassen, hatte diese bei der Filmcrew ein großes Catering bestellt, knabberte einen Teil des Buffets an – und feierte mit den noch großen Mengen an Resten eine Art Essensschlacht. Da wurden nicht nur Erinnerungen an Chytilovás "Tausendschönchen" wach – sondern auch Gedanken über bourgeoise Verschwendung geweckt, die die Kommune durch ihren Lebensstil eigentlich überwinden wollte/sollte. Aber noch unbehaglicher wurde die Kombination aus Performance und Essen dann bei der Dokumentierung einer Kunstaktion von Otto Muehl an der Kunsthochschule Braunschweig, bei der ein Schwein auf der Bühne live geschlachtet wurde und eine Perfomance-Teilnehmerin nicht nur mit Schweineblut beschmiert, sondern auch von Muehl angepinkelt wurde.

Für eine der größten Überraschungen sorgten allerdings zwei ältere Herren in einer Sylter Kneipe, die zum naheliegenden FKK-Strand befragt wurden. Sichtlich nicht mehr beim ersten Bier, mit leicht angeschwitzten, roten Gesichtern – eigentlich Kandidaten für Tiraden über die heutige Jugend. Aber nein: zum FKK-Strand gehe man selbst nicht, denn "im Alter wird alles etwas kleiner" – aber die heutige Jugend solle mal schön selbst in Ruhe machen und ausprobieren und herausfinden, was sie wolle.

Klingt alles wüst? Damit WUNDERLAND DER LIEBE nicht komplett auseinanderfällt, gibt es eine Art Rahmenhandlung mit einem Liebespaar: Sabine Clemens als sie und Jürgen Drews als er. Sie dürfen am Ende dann auch Sex haben – also, na ja, nackt zusammen im Bett herumtoben, in eleganter Zeitlupe und in einem Kaleidoskop überlagerter Bilder gefilmt, während der fetzige Sound der Krautrock-Band Apocalypse (hier nach knapp 2 Minuten das Hauptthema des Films) sich auch noch drüber legt. Womit wir beim nächsten wichtigen Punkt wären: WUNDERLAND DER LIEBE ist absolut fantastisch anzuschauen und anzuhören! Regisseur Dieter Geißler war der Hauptdarsteller in Klaus Lemkes 48 STUNDEN BIS ACAPULCO, deutscher Co-Produzent für italienische Co-Produktionen wie MALASTRANA (durch Aldo Lados Prag geistert ein Straßensänger, der von Jürgen Drews verkörpert wird), CHI L'HA VISTA MORIRE, Roman Polanskis CHE?, Luchino Viscontis LUDWIG II, später Produzent von DIE UNENDLICHE GESCHICHTE (1 bis 3): WUNDERLAND DER LIEBE ist die erste von nur zwei Regiearbeiten.

Aber als umtriebiger Produzent schien er einen Riecher für die richtigen Leute zu haben: Hubertus Hagen an der Kamera, ein Veteran der Schwabinger Nouvelle Vague (und später von Lederhosen-Sexfilmen) und Jutta Brandstaedter an der Schere (Cutterin für Klaus Lemke, Roger Fritz, Rudolph Thome und Aldo Lado). Denn WUNDERLAND DER LIEBE ist auch ein Film der entfesselten Bilder und der wahnsinnigen Montagen. Nervenzerfetzende Thrills gibt es ebenso wie brüllende Lacher. Befragungen von Fabrikarbeitern sowie Marketing- und Produktmanagern einer Kondomfabrik werden montiert mit Bildern einer Qualitätskontrolleurin, die an einer Maschine Luft in ein Kondom strömen lässt und die Liter abzählt: "5 Liter" – O-Töne – "10 Liter" – O-Töne – "20 Liter"... und so weiter. Es steigert sich immer mehr, bis bei 50 Litern und der Offenbarung, dass die Geschmacksrichtung Pfefferminz am beliebtesten bei Nutzern abschneidet, schließlich die kathartische Explosion erfolgt! Toben im Kommkino-Saal! Und dass das Anbringen des Kondoms während des Liebesspiels, wie ein Marketing-Mensch der Fabrik versichert, keineswegs Erotik und Zärtlichkeit zerstört, wird in der Montage auch schön veranschaulicht: Schnitt zur Qualitätskontrolleurin, die mit ordentlich Schmackes Kondome auf die langen Phallen eines Kontrollfließbands zieht. Das Publikum im Komm tobt weiter!



ab 23:30 Uhr


SCREWBALLS ("Screwballs – Das affengeile Klassenzimmer")
Regie: Rafal Zielinski
Kanada 1983
35mm, DF
Fünf Jungs der Taft and Adams High School (abgekürzt: T & A) versuchen in gemeinsamer Anstrengung, endlich einen Blick auf die Brüste von Purity Bush zu werfen, dem schönsten Mädchen der Schule.


Ein Perpetuum-Mobile ist physikalisch nicht realisierbar. Aber das Großartige an Kino ist, dass da alles möglich ist: SCREWBALLS dürfte eine Art Perpetuum-Mobile der wüst-zotigen Teenager-Sexkomödie sein. Ein wildes Ungestüm, das, nachdem einmal in Gang gesetzt, im Autopilot-Modus wütet, nicht zu stoppen ist und ohne Energieverlust auf seinem Weg alles komplett verwüstet. SCREWBALLS ist vor allem auch ein sehr puristischer, in seiner geradlinigen Konsequenz fast radikaler Exploitationfilm, vollkommen auf seine Schauwerte konzentriert, die er als eine Art Nummernrevue aufzieht: natürlich gibt es – leichtes Zugeständnis an das klassische Erzählkino – eine Art Aufhänger als roten Faden. Aber SCREWBALLS ist vor allem an seinen Eskalationen interessiert, ja ist gar ein Kaleidoskop der Eskalationen, von denen jede einzelne minutiös vorbereitet und ausgeführt wird. Aus einer Idee wird eine kleine Zote, aus einer Zote ein größerer Unfug, der größere Unfug verwandelt dann beispielsweise die Turnhalle in ein Orgien-Schlachtfeld – vom Kauf des Extrakts spanischer Fliege im Sex-Shop über das versehentliche Verschütten in den Punsch bei der Schulfeier bis zur Orgie. Die Erwartung der Zuschauer wird immer sehr schön angefächert, angeteast, aufgebaut und schließlich befriedigt – dabei gibt es aber trotzdem immer einen Moment der Überraschung, denn wer hätte ernsthaft erwartet, dass eine Partie Strip-Bowling damit endet, dass eine Bowling-Kugel sich auf dem eregierten Penis eines Spielers festklemmt und diese erst durch Stimulation der weiblichen Mitspielerinnen orgiastisch und Strike-markierend abgestoßen werden kann? Wer?

Ja, SCREWBALLS ist zotig, schmierig, früh-pubertär (ob manche der Slapstick-Geräusche, wie Katzenfauchen zum Silhouetten-Sex, im Original zu hören sind oder das Zusätze der deutschen Synchronfassung sind, weiß ich nicht) und völlig geschmacklos. In Sachen komödiantischen Inszenierungshandwerk sind wir allerdings schon in der Top-Klasse. Der Versuch eines Schülers, bei Purity einzubrechen, ist ein Paradebeispiel dafür, wie gut SCREWBALLS ist: ein notgeiler Schüler, zwei Räume, eine Treppe, Purity kurz vor dem Einschlafen, eine sexuell frustrierte Dame, ein paranoid-antikommunistischer Herr mit Flatulenzen und einem geladenen Gewehr – Zutaten für darauffolgende raunende Lachsalven!


Nach dem letzten offiziellen Film des Programms wurde für die Hartgesottenen noch ein "Videoknüpel" kredenzt. Es war ein Film, den ein Mitglied des Hofbauer-Kommandos bei einem noch lebenden Co-Produzenten in 35mm für eine frühere, andere Filmreihe angefragt hatte – der Produzent reagierte sehr unfreundlich bei der Vorstellung, dass "dieser Scheiß" öffentlich gezeigt würde.

Am Ende lief der Film also von DVD auf dem Hofbauer-Kongress unter der Bitte, nicht zu offen mit Nennung von Titel und Namen darüber zu schreiben. Fällt mir nicht schwer: eine romantische Liebeskomödie, die weder romantisch, noch liebevoll und vor allem durch und durch unlustig war.




Freitag, 5. Januar 2024


ab 15:00 Uhr


UN ÉPAIS MANTEAU DE SANG ("Heiße Haut")
Regie: José Bénazéraf
Frankreich 1968
35mm, DF
Zwei Söldner klauen Diamanten in Katanga. Später betreibt einer von ihnen eine Klinik in Südfrankreich und ist der Liebhaber der Ehefrau des anderen, verschollen gegangenen Mannes. Das geht so lange gut, bis die Ehefrau sich einen einfachen Taucher als Liebhaber nimmt und der Ehemann wieder auftaucht.

"Ein paar Leute hängen am Strand in Südfrankreich ab und schauen mal, was so passiert" – so fasste ein Co-Kongressnik Bénazérafs Film zusammen (danke für diesen schönen O-Ton, Marcel!). Tatsächlich hat der "Godard du X" hier erst einmal einen schönen Atmosphärenfilm, ein Stück Kino zum Abhängen geschaffen, in dem nicht viel "passieren" muss, damit es sich toll anfühlt. Sex, Tanzen, Schauen, Sich-schaukeln-lassen auf dem Boot und ein bisschen Ringen – viel mehr braucht es zunächst nicht. Als Projektionsfiguren reichen da Valérie Lagrange mit ihrem blonden Bubikopf und Hans Meyer mit seinem bedrohlichen Narbengesicht völlig aus. Sie hat zwischendurch mit einem örtlichen Taucher Sex am Strand und er macht zum Training einen kleinen Ringkampf mit seinem Bodyguard (der verblüffenderweise wie der junge John Milius aussieht) – beide Tätigkeiten montiert Bénazéraf zusammen in einer gemeinsamen, sehr bizarren Szene. Nach dieser Anstrengung ein bisschen auf dem schaukelnden Fischerboot abhängen, während der Postkarten-Hintergrund in den Meereswellen auf- und abwippt...

War Bénazéraf dazu verpflichtet, einen als Thriller vermarktbaren Film abzuliefern? Der Prolog, die letzten 20 bis 25 Minuten und zwischendurch einige mysteriöse Expositionsdialoge scheinen ein wenig darauf hinzudeuten, dass da irgendetwas war. Leute beim Abhängen zu stören ist ja nie eine gute Idee, und die lange Verfolgungsjagd zwischen Auto und Schnellboot mit anschließender Schießerei in den Küstenfelsen zeigt, dass Bénazéraf wohl kein gutes Händchen und scheinbar sehr wenig Interesse für Thrills und Action hatte. Nein, gutes Nichtstun ist besser als halbgares Hetzen!



ab 17:00 Uhr


EIN HERZ VOLL MUSIK
Regie: Robert A. Stemmle
BRD 1955
35mm, dt. OV
Ein Spitzensportler, der auf allen Alpenpisten als "No 7" für Furore sorgt, muss zwischen den Wettkämpfen bei Hotels als Kellner anheuern, singt aber auch ganz gerne. Eigentlich ist er der Sohn eines reichen Hotelketten-Besitzers, verliebt sich zu dessen Leidwesen aber trotzdem in das Blumenmädchen eines Hotels. Eine reiche Millionärin aus den USA möchte ihren aktuellen Toyboy auch lieber mit "No 7" austauschen. Dessen Anstellung als Sänger im renommierten Orchester Mantovani stehen die Intrigen des Vaters und eines leicht bestechlichen Pianisten entgegen.


EIN HERZ VOLL MUSIK ist vor allem ein Vehikel für den schweizerischen Sänger Vico Torriani, der hier als singender Industriellensohn die Herzen der jungen Blumenmädchen, reiferen Millionärinnen und geneigten Zuschauer erobert. Komödie, Romantik, einige mehr oder minder fetzige Musik- und Tanznummern sowie eine ganze Riege an lieben oder kauzigen Charakteren geben sich die Klinke in die Hand – das ganze ansehnlich inszeniert und gespielt, und heraus kommt ein angenehmer, wohliger Nachmittagsfilm.

Wie das so oft ist bei solchen Filmen sind die zwei zentralen liebenden Protagonisten vielleicht die uninteressantesten – oder sagen wir mal: die glattesten Figuren. Wesentlich spannender war das Double aus Fita Benkhoff als reiche Amerikanerin Ellinor Patton und Boy Gobert als Baron Karl-Heinz von Schlankenhalten und Ellinors Toyboy (und nebenbei: Sekretär und Mädchen für alles): die erste Komödiennummer ist dann auch ein Dinner, bei der sie alles in die Küche zurückschickt, weil es zu kalt, zu warm, nicht gut genug etc. ist, während der Baron nebenbei und heimlich versucht, beim Kellner (unserem lieben "No 7") die Wogen zu glätten.

Der Anti-Held (aber auch heimliche Held) des Films war aber der Pianist, Peer, gespielt von Wolfgang Wahl: als Mitglied des Orchesters Mantovani ist er beauftragt, Vico mit allen Mitteln als Sänger zu akquirieren, von Vicos reichem Vater wird er beauftragt, die Aufnahme des Sohnemanns mit allen Mitteln zu verhindern – ideal, um von beiden Seiten Kommissionen (aka Schmiergeld) zu kassieren und sich lächelnd-genüsslich in die Jackett-Innentasche zu stecken. Dennoch: er ist kein Bösewicht, möchte nur ein bisschen Startkapital für die künftige Ehe mit seinem Blumenmädchen (einer Kollegin der Protagonistin) aufbauen. Das Miteinander und die Zwistigkeiten dieses "Neben-Paars", beide nicht mehr jung und schlank "genug" für erste Rollen, ist gewissermaßen die Herz-Nebenkammer des Films.

Und einen spektakulären, vom Publikum gefeierten und schließlich lautstark mitten im Film applaudierten Kurzauftritt gegen Ende, als Vico endlich seine Revue-Premiere hat, hatte ein besonders beweglicher Tänzer, der sich wie Gummi bewegte und leichtfüßig durch die Theaterkulisse moon-walkte.

Nach EIN HERZ VOLL MUSIK war das Publikum gespalten: einige trällerten "Blauäugelein", andere trällerten "Der neue Frühjahrshut" – ich gehörte zu letzteren. Die Nummer "Der neue Frühjahrshut" zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass sie tatsächlich ein wenig wie eine US-amerikanische Musical-Nummer als Bewegungskino durchchoreografiert war, mit eleganten Tanzschritten durch Rom (das gleiche Rom wie SIE LIEBTEN SICH EINEN SOMMER übrigens, denn eine Panorama-Ansicht mit einem schönen Palmengarten im Vordergrund war klar wiedererkennbar). "Der neue Frühjahrshut ... und was sich drunter tut" wurde von einem Co-Kongressnik gar zum Lieblingsmotto der diesjährigen Kongressausgabe gekürt!



ab 21:15 Uhr


WIR LASSEN UNS DAS SINGEN NICHT VERBIETEN
Regie: Tillmann Scholl
BRD 1985
16mm, dt. OV
Über 10 Jahre lang sammelt Tillmann Scholl dokumentarisches Material in St. Pauli und zeigt Impressionen von einer Jubiläumsfeier des Stadtviertels, portraitiert Stammkunden und Wirte von Eckkneipen, befragt zufällige Passanten, durchreisende Touristen und windige Geschäftsmänner, stellt Fragen über die Gentrifizierung Hamburgs.

Wenn WUNDERLAND DER LIEBE der lachende Geist dieses Kongresses war, dann war WIR LASSEN UNS DAS SINGEN NICHT VERBIETEN dessen schlagendes Herz: eine emotionale, persönliche Liebeserklärung an Hamburg und St. Pauli, ein zärtliches Portrait seiner Bewohnerinnen und Bewohner, ein zorniges Manifest gegen die Marginalisierung des Unbürgerlichen durch das Kapital. Irgendwo zwischen impressionistischem Dokumentarfilm und politischem Essayfilm angesiedelt, hat WIR LASSEN UNS DAS SINGEN NICHT VERBIETEN vor allem durch seine Pièce de Résistance, das Portrait der Eck- und Absturzkneipe "Am Schauermann", den Weg in die Herzen der meisten Kongressniki gefunden. Im Dunkeln der Nacht, bei schummeriger Beleuchtung versammelten sich hier die Glücklosen, die Kaputten, die Randgestalten, die Gescheiterten, die Kranken, die Sterbenden, die Lachenden und die Weinenden und die Ganoven bei Bier und Schnaps. Die ersten Reaktionen der Kneipenbesucher auf die Kamera, die sie filmt, ist sichtlich eher feindlich – der Blick der Kamera bleibt dennoch voller Zärtlichkeit, und obwohl hier das gleiche "Material" zu sehen ist, das etwa in einem Mondo-Film der Häme oder in einem "wohlmeinenden" Dokumentarfilm dem selbstgefälligen Mitleid freigegeben würde, ist hier davon nichts zu spüren. Nach der anfänglichen Feindlichkeit kommen die Performances: einige Gäste scheinen vor der Kamera zu "spielen", sich selbst oder wie sie sich vorstellen, dass ein Publikum sie sehen möchte – ein betrunkener Sturz vom Barhocker wird effektvoll demonstriert. WIR LASSEN UNS DAS SINGEN NICHT VERBIETEN stellt hier auch grundsätzliche Fragen über das Wesen des Dokumentarischen: es mag keine Sicherheit über die "Wahrheit" des Gefilmten geben – doch die Zärtlichkeit des Kamerablicks, sie bleibt immer.

Auch wenn der Fokus auf den "Schauermann" (der etwa einen Drittel der Filmlaufzeit ausmachen dürfte) verschwindet: der eloquente, charismatische Kneipenwirt Jürgen bleibt als "roter Faden", als Leitfigur des Films den Zuschauern weiter erhalten – als Marker für die (scheinbaren?) Erfolge und die eklatanten Misserfolge der Gentrifizierung Hamburgs. Über seine Tage als Kneipenwirt, der auch mal mit Fäusten zwischen randalierende Gäste eingreifen muss, sinniert er auf einer von Müll und Bauschutt bedeckten Baustelle – der Ort, an dem sein früherer Arbeitsplatz stand, an dem jetzt finanzkräftigere Unternehmungen ihren Platz einnehmen. Immer wieder wird der O-Ton einer älteren Touristin, die davon erzählt, das "was Neues" gebaut wird, über die Bilder als elektronisch verfremdetes Echo gesampelt. Dass am Ende nicht nur Gebäude, sondern auch Menschen weichen müssen, wird immer wieder deutlich. Zunächst auf sehr lustige, humorvolle Weise: Gentrifizierung ist eben auch, wenn der Straßenstrich sich verschiebt, der geneigte Freier die Prostituierten nicht direkt vor noch existierenden Eckkneipen stehen hat, sondern (O-Ton) "ganze 10 Minuten" laufen muss. Am Ende gibt es aber für die Zuschauer trotzdem eine stahlharte Faust in die Fresse und einen harten Tritt in den Bauch: So abgrundtief traurig und niederschmetternd endete bei dieser Kongress-Edition kein anderer Film.


Als weitere Lektüre empfehle ich auch André Malbergs Text über den Film auf Eskalierende Träume

Als ich einem hamburgophilen Freund, der Ende 2023 auch nach Hamburg gezogen ist, von WIR LASSEN UNS DAS SINGEN NICHT VERBIETEN schwärmte, schrieb er mir, dass der Film durchaus eine Hamburger Lokal-Berühmtheit sei.


ab 23:45 Uhr


HAKUJITSUMU ("Träume im Zwielicht")
Regie: Takechi Tetsuji
Japan 1964
35mm, DF
Ein Mann und eine Frau werden beim Zahnarzt behandelt. Unter dem Schleier der Narkosen verfallen sie in wüste, gewalttätige, erotische Träume.


Unter den sinnlichen Erfahrungen, die man als Mensch so macht, gehören Zahnarztbesuche zu den wahrscheinlich abscheulichsten: ich glaube, ich bin nicht der einzige Mensch, dem flau im Magen wird beim Gedanken an eine zahnärztliche Behandlung. Umso interessanter, wie "Träume im Zwielicht" zu Beginn fetischistische Erotik, quasi-pornografische Symbolik und zahnärztliches Unbehagen zusammenbringt: extreme Nahaufnahmen auf Münder, deren Lippen gestreichelt werden, in denen aber auch Spiegel und Bohrer reingesteckt werden, aus denen Unmengen an Speichel schaumig wie Sperma heraustropft, unterlegt von einer Kakophonie nervzerfetzender Zahnarztbohrergeräusche.

Ist das noch Exploitation oder ist das ein Experimentalfilm? Eine Frage, die so einige Exploitationfilme aus Japan bei mir auslösen. HAKUJITSUMU gilt als früher Vertreter des japanischen Pink-Film, als Meilenstein in der Darstellung von Nacktheit und Sex im japanischen Kino. Ein einfacher, gefälliger Film ist er keineswegs, und als kontemplativer, stark entschleunigter Avantgarde-Horrorfilm (der er auch ist) war er als Spätfilm keineswegs leichte Kost. Vom Prolog in der Zahnarztpraxis arbeitet sich der Film Stück für Stück durch verschiedene Set-Pieces, durch Fragmente eines großen Alptraums: ein Film-Noir-Nachtclub mit Gesang, eine lange Folter-Session beobachtet durch die Fenster-Fassade eines Hochhaus-Apartments, eine Konfrontation zwischen dem Protagonisten und der Frau (die sich zwischendurch in einen Affen verwandelt!) auf einem futuristischen Spielplatz, eine quälende Verfolgungsjagd durch ein Kaufhaus inklusive einem Spießrutenlauf auf einer Rolltreppe, eine belebte Straße mit einem brutalen Mord der komplett von den Passanten ignoriert wird.

HAKUJITSUMU lässt seine beiden Protagonisten durch einen qualvollen Alptraum taumeln (wobei aber mehrheitlich die Frau die Leidtragende der Folterungen und Quälereien ist). Zu Beginn scheint festzustehen, dass wir SEINEN Alptraum sehen, in denen seine Geilheit für die Co-Patientin Stück für Stück von zunehmend extremen Fantasien aufgelöst wird. Die bereits erwähnte lange Folterung in der Hochhaus-Wohnung, bei der die Frau vom Zahnarzt in bürgerlicher Zivilkleidung gefoltert wird (er schlägt sie, peitscht sie aus, verabreicht ihr Elektroschocks) beobachten wir als Zuschauer durch das Terrassenfenster – der Protagonist selbst steht auch als machtloser Beobachter auf dem Balkon, und wir sehen ihn auch beim Beobachten zu, während er teilweise von einer mysteriösen Alptraum-Kraft, teilweise vom Zahnarzt mit einer Pistole davon abgehalten wird, einzugreifen. Gerade diese Szene demonstriert die formale Radikalität und die gnadenlose Grimmigkeit von HAKUJITSUMU, die für einen Film von 1964 (und nicht aus den späten 1970er Jahren) verblüffend ist, den Atem stocken lässt – und auf gewisse Weise die Vierte Wand durchbricht: dieser Film-als-Alptraum quält nicht nur seine Figuren, sondern die Zuschauer auch mit, verhindert, dass sie sich gemütlich berieseln lassen, lässt sie Teil werden. Angenehm ist das nicht, aber sehr konsequent.

Die Verschiebung der Grenzen zwischen den Figuren und den Zuschauern schreitet im Lauf des Films immer mehr voran: es beginnt als SEIN Alptraum, aber der männliche Protagonist macht sich im dritten Viertel des Films rar, und langsam kommen wir in einen Zustand, in dem offensichtlich IHR Alptraum durchlebt wird. Bei ihrem endlosen langen Marsch entgegen der Fahrtrichtung einer Rolltreppe, ihrem erfolglosen, strapaziösen Versuch, nach unten zu kommen, war der männliche Co-Patient komplett aus den Augen und aus den Sinnen.

Takechi Tetsuji war ein Außenseiter in der japanischen Filmindustrie, da er von seinem Hintergrund ein Mann des Theaters war: ein experimenteller Erneuerer, der in den 1950er Jahren umgedeutete traditionelle japanische Theater-Formen, avantgardistische Experimente sowie Burlesque und Striptease zusammenbrachte, Schoenbergs "Pierrot lunaire" in japanische Ausdrucksformen adaptierte und erotisch gewagte Theaterstücke im Fernsehen präsentierte. HAKUJITSUMU war sein zweiter Film, war in Japan kommerziell erfolgreich, löste aber auch Kontroversen aus: der Film passierte erst nach dem "Fogging" einer Szene die Zensur und wurde sowohl von der japanischen Regierung (für seinen sexuellen Inhalt) wie auch von der Interessensvertretung der japanischen Zahnärzte angegriffen. Takechi Tetsuji selbst verfilmte den gleichen Stoff 1981 noch einmal in einer Farbfilm- und Hardcore-Variante (und inszenierte damit den ersten in Kinos gezeigten japanischen Hardcore-Porno).


Gegen Ende des Films bekommt der männliche Patient, dem ein Zahn gezogen wird, übrigens einen Cognac serviert. Bei meinem nächsten Zahnarzt-Besuch fände ich das auch ganz nett – also... nicht einen Zahn gezogen zu bekommen, sondern den Cognac!


so gegen 2:15 Uhr


KOKAIN – DAS TAGEBUCH DER INGA L.
Regie: Günter Schlesinger
BRD 1986
VHS, dt. OV
Der Dealer Bobo ist der neue, ganz heiße Typ in der Hamburger Unterwelt. Um beim großen Drogenhai Stone Eindruck zu schinden, zieht er brisante Deals ab und hinterlegt seine Freundin Inga als "Pfand" in einem von Stones Bordellen. Doch die macht sich aus dem Staub und rettet dabei noch eine minderjährige Kollegin.

Ein idealer Film für den Videoknüppel-Slot: trance-artig und vollkommen hinüber. No-Budget-Schlock, der so dermaßen versumpft statisch ist, dass es irgendwie auch eine eigene Faszination entwickelt. Stones raumeinnehmender Pornobalken und Bobos eklatant weiße Haifischzähne, die sichtbar werden, wenn er anfängt, grundlos psychopathisch vor sich hinzukichern (und das macht er sehr oft!) sind die eigentlichen Helden des Films. Die Handlung spielt sich zu etwa einem Drittel darin ab, dass Figuren sie sich gegenseitig mit sehr vielen, langen Pausen zwischen den Repliken erzählen. Stellenweise fühlt sich das eher nach einer sperrigen Avantgarde-Kunstperformance als nach einem Hamburg-Gangster-Thriller an, der KOKAIN "eigentlich" ist. Das völlig konzeptlos einmontierte Fremdmaterial, stets sichtbar, weil sich das Bildformat so deutlich ändert, ist wohl so etwas wie das Herz des Films: in einer Laufzeit von bestimmt etwa einem Viertel des Films gab es nicht nur eine komplette Nebenhandlung mit zwei anderen Prostituierten, die in einer "normalen" Umgebung unterwegs waren (und nicht in den absolut desolaten, tristen Abrissbuden, in denen KOKAIN sonst angesiedelt ist), nicht nur die immer gleiche Ansicht einer hübschen Villa, aus der ein für die Handlung völlig irrelevanter, elegant in Weiß gekleideter Gentleman immer wieder ins Freie tritt, sondern auch "zauberhafte" Ansichten vom Hamburger Hafen, seinen pittoresken Baustellen und Müllhalden (die Ansicht eines Bauschutt-Panoramas ließ mich ab dem zweiten Mal in meinem übermüdet-benebelten Zustand unkontrolliert kichern – und kam bestimmt sechs, sieben, acht Mal!). Ja, der Bauschutt ließ KOKAIN wie eine Art Kommentar zu WIR LASSEN UNS DAS SINGEN NICHT VERBIETEN lesen. Und dann gab es natürlich noch der Moment, in dem sich Inga und Kollegin in einem Schiff verstecken und dafür durch endlose Schiffskorridore laufen, und laufen, und weiter laufen, und noch mal weiter laufen, und noch mal ein Weilchen weiterlaufen (bis sie schließlich ein sicheres Versteck gefunden haben) – wie ein Nachklang zur langen Rolltreppen-Szene in "Träume im Zwielicht".



Samstag, 6. Januar 2024



ab 14:45 Uhr


WANTED: BILLY THE KID
Regie: Jack Deveau
USA 1976
16mm, OV
Billy hat seinen Durchbruch als Schauspieler in New York noch nicht richtig vollbracht. In der Zwischenzeit verdient er sich seinen Lebensunterhalt als Prostituierter für zahlungskräftige Herren und Paare.

WANTED: BILLY THE KID lief im September 2020 im Rahmen der kleinen Retrospektive des Filmkollektiv Frankfurt zu Filmen aus Jack Deveaus Produktionsfirma Hand in Hand in der "Pupille": warum auch immer, aber dort plätscherte der Film etwas gleichgültig an mir vorbei. Die Wiedersichtung in Nürnberg war nun eine kleine Offenbarung: ein sehr intimer, zärtlicher, ab und an auch sehr witziger Film. Die ersten zwei Sex-Nummern wirkten nun außerordentlich intim und erotisch. Zunächst Billy mit einem Freier bei sich zuhause: sehr schön, wie das Gefühl der Intimität beim After-Sex-Smalltalk behalten wurde, wenn sich der Kunde langsam beim Gespräch wieder anzog (und sich als gutbetuchter Anzugsträger offenbarte). Später die "Hausmeister-Sex"-Nummer im tiefen, dunklen, staubigen und vollgerümpelten Keller eines Brownstones: auch hier verzichtet Deveau komplett auf den Einsatz der Musik, und die Erotik im Sex zwischen Billy und dem Hausmeister (bzw. wie später klar wird: ein für ein Rollenspiel als Hausmeister gekleideter, reicher Anzugsträger) steigerte sich nur durch die zunehmend lauter werdenden Stöhngeräusche und vor allem das Knarzen von Billys Lederjacke.

Deveau interessierte sich immer wieder für Klassenunterschiede, in keinem Film wohl so explizit wie in WANTED: BILLY THE KID, in dem der mittellose Schauspielstudent Billy von einer Vielzahl reicher Freier bezahlt wird, die vielleicht gerade auch das Überschreiten der Klasse interessiert, oder das Tauschen der Identität: so ist Billy bei der "Hausmeister-Sex"-Nummer zunächst der anspruchsvolle Mieter, der seinen tropfenden Wasserhahn repariert haben möchte – und sein Freier der Hausmeister. Gängige Grenzen, Eindeutigkeiten werden hier wie so oft in Schwulenpornos der Zeit wieder mit einer bisexuellen Sexszene, einem Dreier mit Billy und einem Ehepaar überschritten – hier zur Abwechslung mit dem ironisch-witzigen Song "Sheltered Life" von Lou Reed unterlegt (in der Version aus dem Solo-Album "Rock & Roll Heart" – der Song geht aber zurück zu den Anfängen von Velvet Underground, ich persönlich bevorzuge die Demo-Version mit John Cale an der Viola und zwei Kazoo-Soli von Lou Reed).

Noch mehr Grenzen werden in der Zahnarztpraxis-Szene überschritten – die wunderbarerweise gleich einen inhaltlichen Anschluss an den letzten Film des offiziellen Kongressprogramms bildete: der Freier ist hier der Zahnarzt, aber wir sehen das Ganze aus Billys möglicherweise narkotisierten Perspektive – und in dieser Vision hat Billy Sex mit sich selbst. Eine surreale, beunruhigende, mit extremen, verzerrten Weitwinkelbildern und dissonanten elektronischen Klängen leicht in Horrorgefilde weisende Szene.

Wen das zu sehr beunruhigt: Yoga soll wohl ganz gut sein zum Runterkommen. Deshalb gibt es immer wieder Fragmente aus einem Yoga-Kurs, den Billy besucht: ein Wintergarten voller grünender Pflanzen, dazwischen ein Dutzend Männer in knappen weißen Slips, die entschleunigte Bewegungsübungen machen. Diese Fragmente werden in die "normale" Handlung, manchmal aber auch in Sexszenen eingestreut – Sex und Sport zusammen montiert, auch ein wiederkehrendes Motiv dieses Hofbauer-Kongresses!



ab 16:30 Uhr


AAN
Regie: Mehboob Khan
Indien 1952
35mm, OV mit englischen Untertiteln, internationale Exportfassung (ca. 135 statt 161 Minuten)
Der Bauer Jai bezwingt bei einem Wettbewerb die unzähmbare Stute der Prinzessin Rajshree, die aufgrund ihres hohen Adelsbewusstseins davon gar nicht begeistert ist. Während Jai versucht, das Herz Rajshrees zu erobert, spinnt ihr Bruder Putsch-Intrigen, um seinen Vater, einen reformerischen Fürsten, zu beseitigen.

Die Bollywood-Premiere des Hofbauer-Kongresses versprach interessant zu werden – aber so einen unfassbaren Knaller? Die Kopie wurde durch das britische Archiv fast nicht verliehen, weil es sie als "praktisch unspielbar" klassifizierte: zu sehen war eine absolut prachtvolle Technicolor-Kopie mit nur gelegentlichen Andeutungen von leichten, sehr oberflächlichen Laufstreifen. Man muss sagen: Rotstichige Kopien gab es bei diesem Kongress doch sehr viele zu sehen, und AAN war hier farblich eine absolute Wohltat für die Augen. Eine Explosion der Farben mit knallgelben blühenden Blumen auf saftig grünen Wiesen unter einem strahlend blauen Himmel. Barocke Dekors in allen möglichen Schattierungen von Farben, von zartem Pastell bis zu psychedelisch leuchtenden Tönen. In einem Film, der Abenteuerfilm, Action, Musical, Komödie, Melodrama, wüsten Klamauk, psychosexuelle Abgründe und eine Schmierigkeit, wie sie in dieser Form nur selten auf diesem Kongress sonst zu sehen war, freudig ineinander krachen ließ. Nicht nur, aber auch durch die Schnitte in der Exportfassung bedingt schlug AAN erzählerisch mit zunehmender Laufzeit immer größere Kapriolen – auf Kosten der Kohärenz zwar, aber dafür mit einem umso größeren Gewinn in Sachen Tempo, Geschwindigkeit und einem allgemeinen Gefühl des cineastischen Wahnsinns. Die oben aufgeschriebene, kurze Synopsis ist nur eine sehr ungefähre Annäherung an das, was AAN so alles entfesselt.

Fliegt das alles bei 135 Minuten nicht um die Ohren? Nein, denn die Cine-Göttin Nadira kam in ihren Hosen und manchmal einer Reitgerte in der Hand, um das alles zusammenzuhalten und wenn nötig mit bösen Blicken und harten Schlägen wieder auf seinen Platz zu bringen! Nadira, die ich ganz spontan die "indische Joan Crawford" gennant habe, besonders in Bezug auf die Ähnlichkeit zwischen der Prinzessin und Vienna aus JOHNNY GUITAR: wie Rajshree in eleganten Reiterhosen und hohen schwarzen Lederstiefeln gekleidet und mit drohendem Blick eine lange Treppe hinuntersteigt, nimmt um zwei Jahre Viennas ähnlichen Gang in JOHNNY GUITAR vorweg. Nadira – Rajshree, Hosenträgerin, Göttin des arroganten Blicks, des expressiv-entfesselten Zorns im Antlitz, des unendlich gekränkten Gesichtsausdrucks, Herrin über ungeheure Gefühle – nicht nur Jais, das ist noch konventionell. Nein, Rajshree scheint mit ihrer Hausdame zu Beginn eine sadomasochistische Beziehung zu unterhalten, denn sie ohrfeigt sie immer wieder genüsslich – und die Hausdame reagiert darauf immer mit einem lustvollen Blick, reibt sich wohlig die Wange, als wäre sie eben zärtlich gestreichelt worden, guckt dabei mit sanft-verliebten Augen. War das indische Zensursystem nur wenige Jahre nach der Staatsgründung wohl noch nicht so effizient? Oder ein Moment, in dem sich Rajshree den Annäherungsversuchen ihres Verehrers Jai in ihrem Schlafzimmer widersetzt, und die Kamera schwenkt auf die Statue eines Elefanten, dem ein rasender Tiger die Klauen in den langen phallischen Rüssel hineinkrallt – ich bin nur zu 95% sicher, dass ich das wirklich gesehen habe, so unfassbar ist das! Aber AAN strotzte vor solchen Momenten...

Komplett ins Delirium schlägt dann der Film in einer langen Fantasie- bzw. Traumsequenz, die ein wenig an den Traum in SINGIN' IN THE RAIN bzw. an die fantastische Ballettaufführung in THE RED SHOES erinnerte. Eine Allegorie auf die Demokratisierung von Rajshrees Haltung (nachdem sie, von Jai entführt, in einer Art perversen Proto-VERTIGO-Prozedur zur Doppelgängerin einer verstorbenen Bäuerin degradiert wird, damit sie den "peasant way of life" kennenlernt), die sich ganz in barocken Traumdekors und psychedelischen Farben auflöst.


Den Hunger passenderweise im indischen Restaurant in unmittelbarer Kinonähe gestillt. 



ab 21:15 Uhr

Bruno-Sukrow-Programm


DER WAHRE FROSCHÖNIG
Regie: Bruno Sukrow
Deutschland 2000er
digital, dt. OV
Die wahre, ungeschönte Geschichte des Froschkönigs...

...mit Flatulenzen, Schimpfwörtern und dem wahren Twist. Noch als "konventionelle" Animation und daher nur durch die unverkennbare Synchronstimme als Film Bruno Sukrows erkennbar. Im Hauptfilm des Abends kam dann der "typische" Sukrow-Stil zu voller Blüte.



IM NAMEN DES KÖNIGS
Regie: Bruno Sukrow
Deutschland 2015
digital, dt. OV
Sachsen im Mittelalter: der Sohn des Königs ist ein echter Frauenheld, doch sein Vater lässt die nicht-standesgemäßen Liebschaften gerne ermorden. Bei Kunigunde verpatzt der Knappe des Königs absichtlich den Mordanschlag und verhilft ihr zur Flucht in eine Bärenhöhle. Währenddessen sucht der König eifrig nach einer standesgemäßen Partie für einen Sohn.

Ein alter Mann über 80 Jahre erfindet an seinem Wohnzimmerrechner als One-Man-Show das Kino neu: ich habe beim letzten Hofbauer-Kongress einen ersten Einstieg in die wunderbar poetischen, fantastischen Filmwelten Bruno Sukrows erhalten, nun habe ich mich weiter in sie verliebt (zusammen mit vielen anderen Co-Kongressniki). Sukrow ist nicht nur ein begnadeter Erzähler, ein liebevoller Erschaffer unvergesslicher Figuren, sondern erfindet wirklich in jedem Film ein eigenes kleines Cine-Universum. Trotzdem es rein digital entstandene Filme sind, spürt man in jedem Frame das liebevoll Handgemachte: Imperfektionen bei den Bewegungen der Figuren, beim Freistellen von Formen, leichtes Pixelrauschen an den Rändern, Überlagerungseffekte – alle machen die Filme zu Wunderwerken eines sehr persönlichen Kinos, die UI-Bugs werden zum Gehilfen des Film-Auteurs.

Trotz des oberflächlich "rohen" Looks sind Sukrows Filme voll mit witzigen, mehr oder minder sichtbaren kleinen Details, die oft neben der "eigentlichen" Haupthandlung laufen: dazu gehören die unzähligen Tier-Figuren, die Sukrow sichtlich liebt und aufwändig in seine Filme integriert. Watschelnde Enten, huschende Mäuse, faulenzende Cocker-Spaniels. Tierischer Star von IM NAMEN DES KÖNIGS war der vegetarische (und daher harmlose) Bär Beppo, in dessen Höhle der mitfühlende Knappe die flüchtende Kunigunde versteckt: sein verdutzt fragender Blick, wenn er den Kopf zwischen dem Knappen und Kunigunde während ihres Gesprächs langsam hin- und herbewegte – unbezahlbar! Auch merkwürdige (und im Rahmen dieser Geschichte nicht in die Zeit passende) Gegenstände streut Sukrow immer wieder ein: ein Windrad am Horizont, ein filigranes Damenfahrrad im Burginnenhof, eine Flasche Duschgel neben dem Waschzuber. Und natürlich immer wieder Bierflaschen und Bierkästen der Marke Grolsch an passenden Stellen (in der rustikalen Schänke etwa) oder an den absolut unmöglichsten Orten – als die Handlung uns in den Thronsaal des Königs von Burgund führte, musste ich laut auflachen: ein Kasten Grolsch hatte sich neben dem Thron des Königs reingeschmuggelt.

Bei aller Erzähllust sind Sukrows Filme auch Oasen der Entschleunigung. Pferdekutschen bewegen sich langsam durch reale Standbilder von Straßen, Reiter durchschreiten im gemäßigten Tempo die ganze Breite der Leinwand, Figuren schreiten in Sukrow-typischen, elastischen Moonwalk-Schritten langsam zu ihrem Ziel.


Ein entspanntes Programm, bevor es dann mit rasenden und hosenlosen Verfolgungsjagden weiterging.


ab 23:30 Uhr


OH SCHRECK MEI HOS' IS WEG
Regie: Hubert Frank
BRD 1975
35mm, dt. OV
Der deutschstämmige Texaner Joe Schmidinger ("Schmid'intscher" auszusprechen!) kommt nach dem Tod eines entfernten Verwandten nach Deutschland, um dort seine Erbschaft, ein Hotel, zu übernehmen. In München wird ihm erst mal der Koffer geklaut. In Heidelberg stellt sich heraus, dass das Hotel eigentlich ein Bordell ist – und trotz seiner Prüderie schafft es Schmidinger immer wieder, seine Hose zu verlieren!

OH SCHRECK MEI HOS' IS WEG aka MEI HOS' IST IN HEIDELBERG GEBLIEBEN aka JAGDREVIER DER SCHARFEN GEMSEN: die Editionsgeschichte dieses Films ist wohl ebenso kompliziert und bewegt wie die Geschichte des Joe Schmidinger selbst, mit mehreren Titeln und Laufzeiten. Das widerspiegelte sich auch in der gezeigten Kopie, die offensichtlich aus mehreren Quellen unterschiedlichen Materials zusammengestellt war (aufgrund von mechanischen Schäden zu Beginn des ersten Akts war kein Titel mehr zu sehen). Farbechte Agfa-Akte mit hoher Bildschärfe und rotstichige (bzw. genauer gesagt: orange-stichige) Eastmancolor-Akte mit eher mittlerer Bildschärfe waren durcheinander geworfen. Filmarchäologisch interessant, ohne, dass es dem Vergnügen des Films irgendeinen Abbruch tat. Denn OH SCHRECK MEI HOS' IS WEG (ein Originalplakat war im Foyer des KommKino zusammen mit anderen Plakaten von Filmen dieser Kongress-Edition ausgestellt worden, deshalb nutze ich diesen Titel) war tatsächlich ein Sexklamauk-Kracher, ein Gag-Feuerwerk, ein mit dreifacher Geschwindigkeit laufendes Zoten-Fließband erster Güte, ein entfernter Verwandter von SCREWBALLS aus dem gleichen Zeit-Slot zwei Tage zuvor.

Während SCREWBALLS in Bezug auf die Charaktere doch sehr abstrakt blieb, war Josef Moosholzer als Mister Schmid'intscher das charismatische Herz und die menschliche Seele des Films – und eine Slapstick-Ikone vor dem Herren. Indem er seine Hose verliert, gewinnt er die Zuneigung des Publikums. Wenn er allerdings auf das Heck eines anfahrenden Cabrios springt und sich hartnäckig an der Kante der Hintersitze festhält, während das Auto durch die Straßen Münchens rast, wähnt man sich fast in einem italienischen Polizeifilm der gleichen Ära: war es ein hosenloses Double? Oder hat Moosholzer höchstpersönlich nach dem Rezept des Slapstick-Gottes Buster Keaton höchstselbst diesen Stunt ausgeführt? Wer weiß... Weniger gefährlich für Moosholzers Leib, aber durchaus ein Stresstest für die Lachmuskeln des geneigten Zuschauers ist seine "missglückte" Begehung seines geerbten "Hotels": durchaus ganz unmetaphorisch stolpert Joe durch verschiedene besetzte Zimmer, kann kurz das Treiben der angestellten Damen mit den Freiern beobachten, bevor er panisch hinausstolpert oder hochkant rausgeworfen wird: in ihrer rasendem Eskalation war diese Szene zweifelsohne der Höhepunkt des Films.

Später gibt es auch Helikopterflüge, Fallschirmsprünge und Verfolgungsjagden auf Fahrrädern – und im letzten Drittel auch ab und an ein paar spürbare Längen. Was soll's – eine erfrischende, hosenlose Frechheit von einem Film!


so gegen 2:15 Uhr


VIRIGNIA
Regie: François About
Frankreich 1990
VHS, dF
Die Deutsche Virginia, die von einer Schauspielkarriere in Paris träumt, muss sich zunächst mit etwas weniger glamourösen Jobs begnügen. Eine Stelle als Vorleserin für einen reichen, blinden Mann klingt zunächst einfach, aber dessen Gelüste jenseits der Lektüre werden zunehmend fordernd.

Es ist das Frühjahr 1990, es gibt noch zwei deutsche Staaten, aber keine Mauer mehr: die Titelfigur (und mit ihr die Filmcrew) nimmt das zum Anlass zu einem kleinen Spaziergang durch Ostberlin (inkl. Besuch der Mauerruinen), und so fängt VIRGINIA zunächst als Berliner Promenier-Film an, bevor das Schlendern dann in Paris weitergeht, durch die alten, ehrwürdigen, ein bisschen auch angestaubten Viertel der Stadt, dann aber auch durch die Neubauten, die gentrifizierten Viertel. Dieser Prolog hat mit der "Haupthandlung" wenig zu tun, aber gibt Tempo und Atmosphäre vor: schlendernd, langsam, kontemplativ, zu den Seiten blickend. Ein Atmosphärenfilm, der sich – für ein noch waches Publikum – als ideales Spätnachtprogramm erwies. Nachdem erst mal ziellos durch europäische Hauptstädte geschlendert wird, konzentriert sich die Stimmung im Hauptteil, in der ländlichen Villa des reichen Blinden, auf ein elegisches, erotisches, melancholisches, leicht gotisch angehauchtes Unbehagen. Dass das Dienstmädchen Virginia erst einmal K.O.-Tropfen mit dem Kräutertee verabreicht und die vernebelte junge Frau anschließend im stroboskobischen Blitzlicht eines Gewitters verführt, ist natürlich erst mal ein Knüppel (ein visuell spektakulärer, sehr markanter Moment, der in einem ansonsten größtenteils in elegische, sanft ausbeleuchtete Tableaus inszenierten Film hervorsticht). So schleicht sich für den Rest des Films ein leises Unbehagen ein, die unbewusste Ahnung, dass da irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Wahrscheinlich spüren das auch die zahlreichen Tiere auf dem Anwesen. Sex-Filme mit Animal-Reaction-Shots sind natürlich grundsätzlich großartig: hier gibt es zunächst einmal Pferde – unter anderem ein Hengst namens Igor – die das Treiben der Ehefrau des Blinden mit ihrem heimlichen oder nicht so heimlichen Liebhaber beobachten ("Ich gehe Igor reiten", teilt sie morgens ihrem Mann mit). Später ist es eine Gans, die ganz verdutzt durch das Fenster schaut ob des Treibens des Blinden mit seiner Lektorin.

Der dramatische Höhepunkt wird schließlich noch von einem Twist getoppt, bei dem Brian De Palma wohl glatt seine Hose verloren hätte! Ein erschütternder, lange nachhallender Abschluss für einen größtenteils unaufgeregten, kontemplativen und sehr schön inszenierten Film: eine von wenigen (Softcore-)Regiearbeiten des Kameramanns François About, einem der großen Handwerker der französischen Pornoindustrie (hetero und schwul) – er fotografierte mehrere Filme Jacques Scandelaris, unter anderem NEW YORK CITY INFERNO und den erzählerisch wesentlich experimentelleren und abstrakteren, aber atmosphärisch durchaus mit VIRGINIA verwandten ÉQUATION À UN INCONNU.



Sonntag, 7. Januar 2024


ab 14:45 Uhr


I MIRACOLI ACCADONO ANCORA ("Ein Mädchen kämpft sich durch die grüne Hölle")
Regie: Giuseppe Maria Scotese
Italien 1974
35mm, DF
Nach einer wahren Geschichte: die junge Juliane Koepcke überlebt den Absturz eines Flugzeugs über den Amazonas und irrt danach tagelang durch den Urwald auf der Suche nach Rettung.

"Familienfreundliche Exploitation" – diese Begriffs-Kombination geisterte mir während und auch nach dem Film etwas im Kopf rum. Vielleicht bin ich von nicht ganz so familienfreundlichen, italienischen Exploitationfilmen, die im südamerikanischen Urwald spielen, etwas zu sehr "verdorben", aber "Ein Mädchen kämpft sich durch die grüne Hölle" war ganz und gar nicht meins. Nach meinem Gefühl kam die endlose Exposition mit der abfliegenden Maschine und den am Boden verbliebenen Familienmitgliedern und Flughafenmitarbeitern einfach nicht aus den Puschen: übertrieben umständlich wurde erzählt, teilweise auf komplizierte Weise Figuren eingeführt, die dann später einfach nicht mehr aufgetaucht sind (umso verwunderlicher, dass der Film am Ende auf eine Wiedersehensszene mit dem Vater einfach verzichtet). Hinzu kam, dass die Darstellerin der Juliane Koepcke zwar in einem kurzen, durch das beständige Regnen am Körper eng klebenden Minikleid durch den Urwald läuft, von Susan Penhaligon allerdings auch recht persönlichkeitsfrei gespielt wird. Da helfen auch Nahaufnahmen auf Maden, die aus Hautwunden herausgekratzt werden, nicht.

Dennoch ein sehr schöner Moment: der erste Nachtanbruch in Julianes Abenteuer. Das Licht wird gedimmter, die Geräusche im Urwald werden lauter und bedrohlicher, die Schnittfrequenz nimmt zu und überschlägt sich schließlich in Bildern von Extremnahaufnahmen auf Julianes Augen und die Augen diverser Urwaldtiere.


ab 17:00 Uhr


OTTO UND DIE NACKTE WELLE
Regie: Günther Siegmund
BRD 1968
35mm, dt. OV
Der Schauspieler Otto geht gerne in der Lüneburger Heide wandern. Was er nicht so gerne hat, ist diese "nackte Welle" mit dem ganzen Sex. Als er erfährt, dass ein konkurrierender Schauspieler nebenbei "Nackedeifilme" dreht und seiner Tochter auch noch Avancen macht, gerät Otto vollends in Panik – aber... vielleicht bietet die "nackte Welle" trotzdem auch wirtschaftliche Chancen?

"Was für eine Stahlbombe!" sagte mir ein Co-Kongressnik lachend, als wir uns während des Films auf dem Weg in Richtung Toilette kreuzten. Recht hat er!

OTTO UND DIE NACKTE WELLE war "der Sexfilm des Ohnsorg-Theaters", gespielt von Schauspielern des berühmten Hamburger Theaters und inszeniert vom späteren, langjährigen Intendanten Günther Siegmund. Diese Kuriosität ist dann auch das einzige interessante an dieser "Stahlbombe". Ja, der Spruch "Auch ein blindes Huhn findet mal ein Doppelkorn" war ganz witzig, ansonsten war der Film schon von einer sehr porentiefen Unwitzigkeit, gespickt mit eher peinlichen schulterklopfenden Momenten der Selbstreferentialität, wenn Otto Lüthje verkrampft-kumpelhaft in die Kamera hineinzwinkert und inszenatorisch von einer nägelrollenden Tristesse. Etwa eine Viertelstunde (?) des Films besteht aus Inserts aus frühen Sexploitationfilmen des Briten George Harrison Marks: ganz offensichtlich auch keine grandios inszenierten Filme, aber im direkten Vergleich mit den trist-grauen, statisch gefilmten Intérieurs wirkten sie geradezu perlend-spritzig, aufregend, ja fast genial. Kein großes Kompliment für einen Film, wenn die Inserts besser sind als der "Hauptteil".


ab 21:15 Uhr


ANNA UND ELISABETH
Regie: Frank Wisbar
Deutschland 1933
35mm, dt. OV mit englischen Untertiteln
Ein Dorf in Deutschland zu einer unbestimmten Zeit: die reiche Elisabeth ist an einen Rollstuhl gefesselt und eine ärztliche Untersuchung bestätigt, dass sie nie wieder wird gehen können. Derweilen ist der kleine Bruder von Anna, einer Bauerstochter, gestorben. Nachdem Anna intensiv für dessen Seelenheil gebetet hat, erwacht er wieder zum Leben. Fortan hat Anna den Ruf einer Wunderheilerin und weckt besonders Elisabeths Interesse.


Auch viele Tage später bleibt es dabei: ANNA UND ELISABETH war der bei weitestem bizarrste, eigenartigste Film, den ich bei diesem Hofbauer-Kongress gesehen habe. Auf der oberflächlichen Erzählebene scheint ANNA UND ELISABETH banal zu sein, etwas trocken. Aber "Der neue Frühjahrshut... und was sich drunter tut" – ja, was sich hier so drunter tut, was zwischen den Zeilen schlummert, was in der Luft liegt: ein Film der Unterschwelligkeiten.

Natürlich zunächst die angedeuteten lesbischen Vibes zwischen den beiden Titelfiguren: die beiden Hauptdarstellerinnen Hertha Thiele und Dorothea Wieck hatten bereits in MÄDCHEN IN UNIFORM von 1931, einem Pionierwerk in der Darstellung lesbischen Begehrens im Kino, zusammen gearbeitet. In ANNA UND ELISABETH interessiert sich die gelähmte Elisabeth vor allem für die angeblichen Wunderheilkräfte Annas, die sie von ihrer Lähmung – ihrer sexuellen Blockade? – befreien wird. In den lustverzehrten Blicken, die Elisabeth auf Anna wirft, im zerschmelzenden Ton, mit dem sie Annas Namen ausspricht, liegt aber mehr als nur Interesse an medizinischen Heilkräften. Als der Tag sich nähert, an dem Anna auf Drängen Elisabeths ihre Wunderheilkräfte öffentlich demonstrieren soll, werden beide Frauen im wohl explizitesten Bild des Films vereinigt: Elisabeths Kopf schräg unter Annas Kopf, beide sich tief in die Augen schauend, sagt Elisabeth "Morgen" – nach einem Schnitt ist Elisabeth über Anna gebeugt und haucht "Heute".

Wahrscheinlich weit noch wichtiger ist die Grundatmosphäre religiöser Hysterie und abergläubischen Wahnsinns, die sich über den ganzen Film wie ein halbdurchsichtiger Schleier legt. Ein Teil des Konflikts des Films besteht darin, dass eine einfache junge Frau unter dem psychischen Druck, vom ganzen Dorf für eine Wunderheilerin gehalten zu werden, immer mehr zerfällt – sich aber auch fängt, als sie selbst beginnt, ihre Wunderheilkräfte als reale Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Auch sie wird Stück für Stück vom religiösen Fieberwahn ergriffen, der Elisabeth geradezu zum Brennen bringt und die ganze Dorfbevölkerung in Aufruhr bringt, zu latent bedrohlichen Massenversammlungen vor Annas Wohnhaus führt, sämtliche Leute leicht wahnsinnig schauen lässt. Ausgerechnet der Dorfpfarrer ist der größte Skeptiker, wahrscheinlich aber vor allem, weil die abergläubische Bewegung von unten der offiziellen Kirchendoktrin zuwiderläuft.

Es gibt zwar nur eine klerikale Person im Dorf und kein Nonnenkloster, aber ANNA UND ELISABETH hat mit seiner Thematik religiöser Hysterie durchaus eine assoziative atmosphärische Geistesverwandtschaft mit späteren, an Nunsploitation angrenzenden Filmen wie Michael Powells und Emeric Pressburgers BLACK NARCISSUS, Jerzy Kawalerowicz' MATKA JOANNA OD ANIOŁÓW und Ken Russells THE DEVILS.

ANNA UND ELISABETH startete im April 1933 in den deutschen Kinos. Die Nazis verboten den Film nicht, warfen ihm aber vor, das "gesunde Volksempfinden" zu verletzen. Frank Wisbar hatte bei den Nazis schlechte Karten, emigrierte 1938 mit seiner jüdischen Ehefrau in die USA. ANNA UND ELISABETH startete gemäß IMDb auch in Japan, in Großbritannien, in Ungarn, Spanien, Schweden und in den USA. In der New York Times wurde der Film im Grundton positiv besprochen, die Leistung von Dorothea Wieck als herausragend hervorgehoben, Hertha Thiele als eher schwach bezeichnet und die Langsamkeit von Wisbars Inszenierung kritisiert. Ich würde dem widersprechen insofern vor allem Hertha Thiele als Anna für mich heraussticht: neben Nadira in AAN für mich die zweite große Schauspiel-Ikone dieses Kongresses. Die Langsamkeit der Regie ist hingegen quasi ein Wunder: viele Szenen sind tatsächlich von der spektakulären, trance-artigen Langsamkeit eines die Sinne und den Verstand vernebelnden Fiebertraums. Zugleich aber war ANNA UND ELISABETH in der gefühlten Laufzeit der kürzeste Film des Kongresses: die 70 Minuten fühlten sich eher wie 45 an (ein Gefühl, das einige Co-Kongressniki in der anschließenden Pause auch so bestätigten). Das bestätigt meine anfängliche Annahme: der merkwürdigste Film dieses Kongresses.


ab 23:15 Uhr


AMERICAN FLYERS
Regie: John Badham
USA 1985
35mm, engl. OV
Der begeisterte Hobby-Rennradfahrer David Sommers bricht mit seinem älteren Bruder, dem Sportmediziner und ehemaligen Profi-Rennfahrer Marcus, zum berüchtigten "Hell of the West"-Wettkampf auf. Der frühe Tod des Vaters durch ein Aneurysma hat die Beziehung der Brüder überschattet – und die Möglichkeit, dass die Krankheit vererbt wurde, macht den gemeinsam angetretenen Wettkampf umso wichtiger.


Eine der größten Vorfreuden des Kongresses: AMERICAN FLYERS sollte ursprünglich in der Samstagabend-Prime-Time des Karacho-Actionfilm-Festivals im November 2023 laufen, die Kopie blieb allerdings im deutschen Zoll hängen, als würdiger Ersatz wurde der sehr eigensinnige Boxerfilm DIGGSTOWN gezeigt. Schon beim Karacho versprach der Hofbauer-Kommandant im Karacho-Orgateam, AMERICAN FLYERS beim nächsten Kongress zu zeigen.

"Wie ein Schwulenporno, bei dem die Sexszenen entfernt wurden" – so ungefähr wurde die HK-Relevanz des Films seitens des Hofbauer-Kommandos in der Einführung begründet. Ganz so würde ich das nicht sagen, auch wenn das Bonding zwischen den beiden Brüdern untereinander und jeweils zu ihren Stahlhengsten sehr fetischistische Züge hatte. Der pornöse Schnurrbart, den Kevin Costner in diesem Film trägt und ihn wie der vergessene Cousin Harry Reems' (danke an jemand aus der Reihe hinter mir, der ganz erstaunt "Oh, Harry Reems" geflüstert hat, als Costner das erste mal auftauchte) aussehen lässt, hätte aber als Begründung auch ausgereicht. Na ja, und das Motto des medizinischen Sportzentrums, in dem Your Porn Moustache Highness arbeitet: Once you get it up, keep it up!

Von diesen Überlegungen abgesehen: mit John Badham, einem journeyman extraordinaire des Post-New-Hollywood-Genrekinos, kann man ja eigentlich nie etwas falsch machen. Er macht meistens Filme, die zwar gut inszenierte Attraktionen des Genrekinos abliefern, aber eben auch von den Charakteren her entwickelt werden. In AMERICAN FLYERS geradezu idealtypisch: die erste Hälfte dient erst einmal dazu, die Figuren einzuführen und sie erst einmal in Ruhe miteinander abhängen zu lassen. Das fängt an mit Davids langer Radtour unter den Anfangs-Credits: ein Obsessiver, der nicht nur draußen auf den Straßen Fahrrad fährt, sondern auch, mit einem ganz kurzen Absteigen im Fahrstuhl, bis in seine Wohnung hinein sein Drahtesel reitet und erst einmal beim Stoppen davon stürzen muss, um wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Marcus hat natürlich seinen ultra-pornösen Schnurrbart, ist aber auch der "bürgerliche", ältere Bruder, der seiner Mutter immer noch nicht ihren Umgang mit dem Tod des Vaters verzeihen kann. Zum "Hell of the West" kommt auch Marcus' Lebensgefährtin Sarah (Rae Dawn Chong in einer wunderbaren Rolle) und irgendwann gabelt das Trio unterwegs die Tramperin Becky auf, die schließlich mit David anbandelt. Von einigen Geschwindigkeitsspitzen abgesehen – die Fahrradverfolgungsjagd mit dem bissigen Hund und das kleine Wettrennen mit den Cowboys auf den Pferden aus Fleisch und Blut – hat AMERICAN FLYERS in der ersten Hälfte das tiefenentspannte Tempo einer kleinen Urlaubsspritztour...

...um dann in der zweiten Hälfte umso mehr die Geschwindigkeit anzuheben und die Spannungsschrauben (und die Emotionalitätsschrauben im eskalierenden Melodrama!) anzuziehen, wenn es zunächst um die Qualifikation zum "Hell of the West"-Rennen geht, dann um den Wettkampf selbst. Da gibt es nicht nur die harten Anstiege in den Bergen von Colorado zu besiegen, sondern auch einige wunderbar fiese Konkurrenten, den "Cannibal" zum Beispiel (pikanterweise Sarahs Ex-Mann) und um noch ein wenig Kalte-Kriegs-Atmosphäre reinzubringen den bärig-bärbeissigen Russen Belov. Point-of-Views aus der Fahrerperspektive und Hubschrauber-Panoramen der verschlungenen Wege in der kargen Berglandschaft Colorados (das Cinemascope kommt hier im Kino ganz besonders schön zur Geltung) sorgen für einen andauernden Nervenkitzel. Vor extremer Anspannung habe ich im Showdown in der letzten Viertelstunde meine rechte Hand krampfhaft in die Armlehne gekrallt: robust gebaut das Ding, ansonsten hätte ich es wohl komplett zerbröselt! Großes Kino kann eben auch ein Stresstest für Kinositze sein.


EPILOG

"Once you get it inside, keep it inside!"


Mittwoch, 7. Februar 2024

Jena, Kino im Schillerhof, 20.00 Uhr

Die Organisatoren des 35mm-Kino beim Film e.V. Jena haben AMERICAN FLYERS aufgrund einer etwas früheren Abreise schweren Herzens verpasst (einer hat aber kurz vor Abfahrt des Zuges einen Blick in die ersten 20 Minuten geworfen). Das Programm des Jenaer 35mm-Kinos war noch nicht festgelegt. Die Kopie von AMERICAN FLYERS war noch im Lande... Kurz: Synergieeffekte wurden geschaffen, AMERICAN FLYERS zum Eröffnungsfilm 2024 des 35mm-Kinos auserkoren und die Reihe "Auto & Geschwindigkeit" mit "Geschwindigkeit Teil 2" verlängert. Genial!

AMERICAN FLYERS war zweifelsohne ein toller Kongress-Abschlussfilm, aber diese haben natürlich immer auch den Haken, dass man sie durch einen etwas getrübten Schleier der angesammelten Festivalmüdigkeit sieht. Die Zweitsichtung genau einen Monat später hat den Film bei mir noch mal gesteigert: ganz großes, mitreissendes Kino, ein Fest der großen Gefühle, der herzlichen Lacher, des adrenalintreibenden Geschwindigkeitsrausches. Definitiv ein Nachrücker in die Reihe meiner diesjährigen Kongress-Lieblinge (WUNDERLAND DER LIEBE, WIR LASSEN UNS DAS SINGEN NICHT VERBIETEN, IM NAMEN DES KÖNIGS).

Nach dem Ende dieser Vorstellung war ich mental bereit, mit Kevin Costners Schnurrbart bis in die höchsten Gipfel der Berge von Colorado zu radeln, von Glenn Shorrocks ohrwurmigem Titelsong zu pedaltretender Trance angetrieben!


Montag, 19. Februar 2018

„Gefühl ist die gefährlichste Schmuggelware“: Euphorien vom 17. außerordentlichen Filmkongress des Hofbauer-Kommandos (Zweiter Teil)

Samstag, 6. Januar, ca. 15.00 Uhr

Der „triste Überraschungsfilm“

Vorfilm
MÄDCHEN IN DER SAUNA
Regie: Gunther Wolf
Bundesrepublik Deutschland 1967
Was ist denn das eigentlich, so eine Sauna? Eine deutsche Journalistin möchte das erfahren und auch ihren Lesern mitteilen können. Da heißt es: Bücher wälzen – und in das Ursprungsland der Sauna, Finnland, reisen, um sie dort live auszuprobieren.
MÄDCHEN IN DER SAUNA – das ist erst einmal ein vielversprechender Titel, und gerne würde ich mal den passenden Jess-Franco-Film dazu sehen. Tatsächlich ist MÄDCHEN IN DER SAUNA aber ein kurzer Dokumentarfilm, der als kulturell wertvoller Film vor dem Hauptprogramm gezeigt wurde, damit ein Kino auf diese Weise Vergnügungssteuern einsparen konnte. Er hätte also durchaus vor Wishmans absolut schamlosen FKK-Exploiter THE PRINCE AND THE NATURE GIRL laufen können (Chronologie mal außer Acht gelassen). Wer also nackte Schauwerte und triefenden Schmier erwartet, ist hier an der falschen Adresse... oder doch nicht?
Auch wenn ich die volle Bedeutung von „trist“ im Hofbauer-Kommando-Jargon noch nicht völlig durchschaut habe: als Journalistin stellt sich die Protagonistin tatsächlich sehr „trist“ an, wie sie da etwas unmotiviert Sachen in ihre heimische Schreibmaschine eintippt und dann total begeistert darüber ist, dass sie ja schon wenigstens einen Titel für ihren Artikel hat (ein Titel, der etwa so sexy wie eine total verkohlte Saunawurst war... zu letzterer gleich mehr). Dann baut der Film einen Moment nervenzerfetzender Spannung ein: wird unsere tapfere Journalistin von ihrer Redaktion die Genehmigung bekommen, zusammen mit einem satten Spesenkonto nach Finnland zu fliegen?
Ja, bekommt sie! So geht es nach Finnland. Es beginnt eine investigative Reise an dampfend-heiße Orte, an denen sich ausschließlich nackte Menschen tummeln. Und zwischendurch wird MÄDCHEN IN DER SAUNA auch zu einem relativ informationsgesättigten Bericht: über finnische Bräuche und Sitten, über die Bauweise von Saunen, über die Steinsorten, die für den Aufguss verwendet werden, die genutzten Holzarten, über die gesundheitsfördernde Wirkung des Saunierens, die steigende Zahl an Saunen in finnischen Privatwohnungen. Ganz wichtig (und unvergesslich) ist die Saunawurst, die nach dem Saunieren auf einem Stöckchen aufgespießt und über dem Kaminfeuer gebraten wird. Zu genießen ist diese übrigens mit einem Bier, um dem Flüssigkeitsverlust des Körpers etwas entgegen zu setzen. Schwitzen, Wurst und Bier – die wichtigsten Zutaten für einen gesunden Lebensstil! Die ganzen Ausführungen werden von passenden Bildern begleitet und die vielen nackten Menschen, die man sieht, dienen selbstverständlich nur der Aufklärung und der Visualisierung des Erklärten.
Fast bin ich dazu geneigt, dem Film einen fast radikaldemokratischen, humanistischen Impetus zuzusprechen, zumal MÄDCHEN IN DER SAUNA über weite Strecken trotz der nackten Tatsachen sehr „unschuldig“ daherkommt und in seinen Erklärungen über nicht-deutsche Bräuche erstaunlich nüchtern, nicht-exotisierend und ohne jegliche Überheblichkeit ist. Wie aus heiterem Himmel bricht der Voice-Over der Protagonistin allerdings plötzlich in eine hämische Tirade gegen eine Co-Saunabesucherin aus, die sinngemäß als fett und deshalb als Beleidigung für die Welt beschimpft wird (die Worte lauten in etwa „[...] manche Gäste offenbar etwas zu sehr dem Essen zusprechen“). Das wiederholt sie kurz danach wieder. Die zwei Frauen (oder war es ein und dieselbe?), die dazu eingeblendet werden, sind natürlich nackt: man sieht also, dass sie vollkommen normal proportioniert sind und man schon ein schwer gestörtes Körperbild, vor allem aber einen sehr bösen Willen an den Tag legen muss, um sie als fett zu bezeichnen. Ein böser Wille, der ein sehr unschönes Weltbild offenbart: aus der demokratischen Sauna wird plötzlich ein Ort, an dem nur „schöne“ Menschen zu sehen sein sollen. Das ist schon ein ziemlich verstörender, Mondofilm-artiger Einschub in einem ansonsten eigentlich putzigen Film.


THE PRINCE AND THE NATURE GIRL („Nackt im Sommerwind“)
Regie: Doris Wishman
USA 1965
Ein leitender Angestellter in einer New Yorker Firma bekommt zwei neue Sekretärinnen – beide kürzlich vom Land zugezogene Zwillingsschwestern. Die extrovertiertere Blonde verbringt ihre Wochenenden in einem FKK-Camp, an dem auch der „charmante Prinz“ seine Freizeit verbringt, so dass sie sich dort auch treffen und miteinander anzubandeln beginnen. Die eher introvertierte Brünette verliebt sich hingegen still in ihren Chef. Als ihre Schwester an einem Wochenende anderweitig wegfahren muss, färbt sie sich die Haare und nimmt ihren Platz im Camp und an der Seite des „Prinzen“ ein...
Christoph versprach in seiner Ansage einen tiefentspannten Hauptfilm, und er sollte recht behalten. Auch wenn ich meine Samstagabende bevorzugt gerne mit knüppelharter Exploitation garniere: irgendwie wäre THE PRINCE AND THE NATURE GIRL ein perfekter Samstagabend- bzw. Samstagnachtfilm. Bei so viel Entspannung bestünde natürlich die Gefahr, einzuschlafen. Wenn man wieder zwischendrin aufwacht, würden einen vielleicht die haargenau selben Bilder wie vor dem Einschlafen begrüßen... oder sollte ich sagen: sanft wach küssen.
Wishmans Film bietet eine recht interessante Mischung aus No-Budget-Charme, einer sanft angedeuteten Screwball-Komödie, unschuldiger Nacktheit, einer erstaunlichen Ökonomie der Inszenierung und vor allem leiser Poesie. Die beiden Schwestern werden nicht von Zwillingsschwestern (das hätte die Gage verdoppelt), sondern von nur einer Darstellerin gespielt und es brauchte bei einigen Zuschauern (z. B. mir selbst) längere Zeit, das zu merken, weil sich die beiden Figuren oft im selben Raum befinden. Im ganzen Film gibt es aber nur zwei Trick-Sequenzen, in der sich die Darstellerin mit sich selbst ein Bild teilt (den Split im Film sieht man zwar, wenn man genau hinschaut, aber es ist schon recht gut gemacht). Die restliche Zeit wird das Material so geschnitten und arrangiert, dass beide Schwestern nicht gleichzeitig zu sehen sind: eine verlässt mal den Bildausschnitt, geht in einen anderen Raum, während die andere „reinkommt“. 
So „ökonomisch“ geht Wishman auch mit ihrem Material um, wenn sie die Aktivitäten im FKK-Camp zeigt. Immer wieder sind bei den Montagen die gleichen Bilder zu sehen – in einer anderen Reihenfolge gebracht. Einige Motive sind drei bis vier Mal im knapp einstündigen Film zu sehen. Das dürften manche als Tiefpunkt des Amateurhaften sehen, aber ich finde, das hat was Beruhigendes: guck mal, das Flugzeug fliegt heute wieder durch den Himmel; ach schön, die Enten watscheln ja immer noch gemütlich am Rand des Teichs. Das ist auf ganz eigene Weise poetisch. Am schönsten natürlich, als der „Prinz“ und die „Prinzessin“ (ich weiß nicht mehr, welche der beiden) spazieren gehen: hier folgt eine ganz besonders lange Montage mit Camp-Bildern, so lange, dass es auffällt. „Lassen wir doch die beiden in Ruhe spazieren und gucken uns währenddessen doch mal ganz in Ruhe an, was im Camp so läuft...“ – scheint uns der Film zu sagen. Warum nicht? Gerne!
Die nackten Schauwerte halten sich, trotzdem der Film größtenteils im FKK-Camp spielt, sehr in Grenzen: meist über der Gürtellinie, von hinten gefilmt, und manchmal scheint sich der eine oder andere Komparse in eine leicht unbequeme Position zu quälen, damit keine Sachen passieren wie in DER ZWEITE FRÜHLING. Der Gipfel ist natürlich, dass der „Prinz“ selbst immer in Badehose zu sehen ist und dabei unfreiwillig wie ein perverser Spanner aussieht. Man kann sich darüber allerdings keine allzu große Gedanken machen, denn viel irritierender ist noch die Tatsache, dass der „Prince“-Darsteller wie eine junge Ausgabe von Steve Carell aussieht.
Was soll ich eigentlich sagen: Darsteller, Schauspieler, Komparse, Figurant? Zum ungewöhnlichen Charme von THE PRINCE AND THE NATURE GIRL trägt bei, dass das alles nicht so geschauspielert als vielmehr „entworfen“ aussieht. Als würden sie keine Bewegungen spielen, sondern nur abstrahierte Entwürfe von Bewegungen skizzieren. Ja ein wenig so, als wären nicht erste, zweite, dritte etc. Takes, sondern jeweils nur der Probe-Take genutzt worden (das allerdings äußerst konsequent).
Was noch? Es gibt eine wunderschöne Fahrt in einem Auto, wo Wishman sogar die Rückprojektion eingespart hat – wahrscheinlich haben nur zwei bis drei Helfer am Rand gerüttelt, damit es aussieht, als ob unsere zwei Turteltauben wirklich fahren. Der Arbeitstag des „Prinzen“ ist ein absoluter Traum: das schwerste besteht wohl darin, sich zwischendurch eine Zigarette anzuzünden und ein bisschen von seiner blonden Sekretärin zu schwärmen. Die blonde Prinzessin dreht sich zwischendurch wie ein kleines Kind auf ihrem Bürostuhl. Einfach so. Das Bild eines Mannes, vielleicht aus einer Zeitschrift ausgerissen, hängt am Rand eines Regals in ihrem Büro. Warum auch immer – und warum nicht? Enten watscheln am Rand eines Teiches – das habe ich schon erwähnt, aber ich mache es einfach wie der Film selbst: zwei mal kann nicht schaden! Der tiefenentspannte Latin-Lounge-Score macht dabei die ganze Zeit Lust, sich ein kühles Bier aufzumachen.
Ja, der entspannteste Film des Kongresses. Und einer der poetischsten.

Auf andere Weise sehr poetisch, allerdings in einem ganz anderen Universum, was den Härtegrad betrifft:

ca. 17.00 Uhr

TENSHI NO HARAWATA: AKAI MEMAI („Angel Guts: Red Vertigo“)
Regie: Ishii Takashi
Japan 1988
Eine Krankenschwester wird von Patienten fast gruppenvergewaltigt und flieht. Ein Mann mit hohen Schulden bei dubiosen Typen flieht. Beide treffen sich zufällig. Er entführt sie, vergewaltigt sie, hält sie in einem verlassenen Gebäude fest. Aus zwei kaputten Leben, Reue, Vergebung, Verzweiflung (und ein bisschen Stockholm-Syndrom) erwächst eine schwierige Liebe.
So sehr ich mich nach TENSHI NO HARAWATA: AKAI KYOSHITSU auch auf den nächsten „Angel Guts“-Film freute – so gut wie der erste konnte der doch nie werden, dachte ich mir. Und in der Tat: TENSHI NO HARAWATA: AKAI MEMAI war nicht so gut, sondern sogar noch besser!
Die Geschichte einer Frau, die sich in ihren eigenen Entführer und Vergewaltiger verliebt, ist natürlich nicht ganz unproblematisch, wenn man TENSHI NO HARAWATA: AKAI MEMAI „at face value“ nimmt. Wie der erste „Angel Guts“-Film des Kongresses ist aber auch dieser unter seiner krassen, erbarmungslos harten und teils abscheulichen Hülle ein herzzerreissender Liebesfilm über kaputte Menschen in einer kaputten (urbanen) Welt. Das Spannende ist, dass er das ganze mit größtenteils komplett anderen filmischen Mitteln macht: „Red Vertigo“ nutzt sehr viel mehr Handkamera und Bewegungen als „Red Classroom“, ist weniger abstrakt und zwar erzählerisch noch lange kein Schema-F-Drehbuchraschler, aber doch geradliniger. Die Position, die er einnimmt, scheint mir auch involvierter als beim kühl-distanzierten „Red Classroom“.
Der Moment, in dem ich mich definitiv in diesen Film verliebt habe: beide befinden sich im verlassenen Lagerhaus, sie muss pinkeln, deshalb bindet er sie kurz los und beide errichten gleichzeitig ihr Geschäft in unterschiedlichen Ecken. Er und sie sind räumlich getrennt, aber ihre Urin-Rinnsäle fließen dank des abschüssigen Bodens trotzdem zueinander und vermischen sich schließlich. Ein unfassbares Bild zum Verlieben, eine wunderbare Visualisierung der schicksalshaften Verbindung zweier Menschen. 
Das Geschehen verlagert sich danach für längere Zeit in ein Hotelzimmer, das fast schon eine eigene gleichberechtigte Filmfigur ist: ein relativ dunkles Schlafzimmer, das durch eine Glastrennwand den Blick freigibt auf ein Bad in Orange – wobei optional Lamellenjalousien herunter- bzw. zugezogen werden können.
Es ist schon etwas merkwürdig, zumal TENSHI NO HARAWATA: AKAI MEMAI nach DER ZWEITE FRÜHLING wohl mein liebster Film des Kongresses war, aber an viele Details kann ich mich nicht mehr so richtig erinnern, weil der ganze Film so traumartig wirkte. Zwischendurch (oder war das am Ende?) geht die Handlung wieder zurück in die verlassene Lagerhalle, wo sie im Lichte eines rot-orangenen Sonnenuntergangs zu einem melancholischen Lied alleine tanzt. Und natürlich ist da diese absolut fantastische, mystisch angehauchte POV-Reise einer Seele, die ihren Körper verlassen hat und zum geliebten Menschen über ein Stück Straße hinschwebt...

Essenszeit! Inhaber einer Dauerkarte (das waren tatsächlich schätzungsweise über drei Dutzend Leute) wurden am Samstag Abend wie im Programm angekündigt zum Abendessen eingeladen. Geführt wurden sie im Gebäude des Filmhauses in einen Art Empfangssaal, wo ein tolles, dreigängiges Menü auf sie wartete: Suppe, Hauptgang mit großer Büffetauswahl, Dessert. Ein Traum.
Hiermit an dieser Stelle einen ganz, ganz, ganz, ganz, ganz großen Dank an das Team, das dieses Essen organisiert, gekocht und serviert hat. Es hat großartig geschmeckt. Es war viel mehr, als ich und sicherlich auch die meisten anderen Dauerkarten-Besitzer erwartet hatten und bestimmt mehr, als wir eigentlich verdient haben. Da werden wir schon mit großartigen Filmen verwöhnt, und dann kommt noch so etwas Schönes zusätzlich hinzu!


ca. 21.00 Uhr

CARMEN, BABY
Regie: Radley Metzger
Bundesrepublik Deutschland / Jugoslawien 1967
In einer Kleinstadt an der Adria verführt eine Prostituierte einen jungen Polizisten und zieht ihn in einen kriminellen, zunehmend gewalttätigen Strudel hinein.
„Carmen“, gespielt in einem jugoslawischen 60er-Jahre-Setting, das hat erst einmal seinen Charme. Wenn man weiter denken möchte, könnte man CARMEN, BABY auch als quasi-feministische 1968er-Version des Stoffs bezeichnen. Natürlich ist er auch ein Softerotikfilm mit hohen Schmierwerten – letztere explodieren geradezu, wenn Carmen bei einer wilden Party eine Art Limbotanz auf einem Tisch vollführt, bei dem sie nicht unter einer Stange tanzt, sondern ihren Körper langsam in Richtung einer besonders langhalsigen Flasche auf der Tischplatte bewegt. Am Anfang wirkt es schon ziemlich gemein, wie sie den Polizisten José erst aufheizt, dann wieder abblitzen lässt und ihn dann immer mehr in ihre Schandtaten hineinzieht. Nach und nach kann man aber sehen, dass sie auch irgendwo ein Freiheitsideal verkörpert. Und er wirkt mit zunehmender Laufzeit immer mehr wie ein verblendeter, selbstgefälliger, autoritärer, fast schon faschistischer Macho: das einzige, was er Carmen verspricht, ist ein Leben, in dem es für sie außer ihn selbst nichts anderes geben soll. Das ist nicht besonders viel. Das ist ziemlich genau das, was Fox-Jürgens seiner Ehefrau in DER ZWEITE FRÜHLING verspricht, und José (Claus Ringer) hat noch nicht einmal halb so viel Charisma. Wenn er sie nicht „exklusiv“ haben kann, soll sie gar nichts haben. Es ist ein unglaublich bestialischer Akt, als er sie in der Morgendämmerung auf einem verlassenen Parkplatz beiläufig ersticht...
Leider ist es für mich persönlich interessanter, über CARMEN, BABY nachzudenken und zu schreiben als es war, ihn tatsächlich zu sehen. Die erste Hälfte fand ich sehr einnehmend, da spielt sich vieles auf den Straßen einer jugoslawischen Küstenstadt ab und das wirkt auch sehr lebendig, trotzdem da eigentlich nichts passiert (oder vielleicht gerade deswegen?). Später verlagert sich das Geschehen immer mehr in Innenräume und trotz einiger guter Ideen – ein Popsänger, mit dem Carmen anbandelt und der den Spitznamen „Baby [Irgendetwas]“ trägt, trinkt seine Cocktails aus Säuglingsfläschchen – erschien mir alles zunehmend beliebiger, zumal eine Wendung die nächste jagte. Auch hier: kein Film, den ich als schlecht bezeichnen könnte, aber in Sachen exzentrische „Carmen“-Adaptionen bleibe ich lieber bei dem Italo-Western L‘UOMO, L‘ORGOGLIO, LA VENDETTA aus dem gleichen Jahr.


ca. 23.30 Uhr

LEFT-HANDED
Regie: Jack Deveau
USA 1972 (DVD-Projektion)
Ein New Yorker beginnt mit einem kürzlich zugezogenen, heterosexuell gebundenen Mann vom Land eine leidenschaftliche Affäre.
Miles Davis schrieb in seiner Autobiografie über Prince (den er sehr bewunderte), dass dieser ganz bestimmt nicht zu europäischer klassischer Musik, sondern zu wilder afrikanischer Trommelmusik Sex habe. Nun... in LEFT-HANDED gibt es reichlich Sex zu sehen, und sehr wenig klassische Musik zu hören (an einer Stelle zumindest „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss). Die großartigste Sexszene spielt sich in der Dusche ab. Schwalle heißen Wassers, nasse Haare, erigierte Penisse, streichelnde Hände, gierige Münder, beschlagene Duschwände und dichter Wasserdampf verbinden sich – um jetzt zu Miles‘ Aussage zurückzukommen – mit einer hypnotisierenden, perkussiven, elektronischen Musik (die nebst Jazz-Rockigem einen nicht unbeachtlichen Teil des Scores ausmacht). Trance-artig. Jenseitig. Großartig.
LEFT-HANDED ist nicht nur ein schwuler Porno, sondern auch ein Werk, das grenzwertig nah am puren Experimentalfilm ist (tatsächlich der wohl „experimentellste“ Kongressfilm), und implizit auch ein politisches Manifest. Ein kleines bisschen New-York-Film ist er auch.
Das „Golden Age of Porn“ wird bisweilen mit „Pornos, die wirklich ein Drehbuch haben und eine Geschichte erzählen“, assoziiert. Wer so etwas bei LEFT-HANDED erwartet, dürfte kaum mit dem Film zurecht kommen. Deveau ist an Erzählung, Handlung, Psychologisierung so gut wie nicht interessiert: eine Handlung wird nur sehr rudimentär durch Telefon-Dialoge entworfen, die man als Voice-Over hört – konventionelle Dialoge hat der Film kaum. LEFT-HANDED ist im wörtlichen Sinne ein Aktionsfilm, ein fast puristisch körperlicher Film. Das betrifft nicht nur den Sex. Im letzten Drittel rasiert sich der vollbärtige Protagonist: stutzt sich zuerst den Bart mit einer Schere zurecht, schäumt sich gründlich das Gesicht ein und bearbeitet dann seinen Bart minutiös mit dem Rasierer. Trotzdem auch diese Szene, soweit ich mich erinnere, mit Jumpcuts arbeitet, wird diese alltägliche Handlung viel länger ausgedehnt, als man sie in einem klassischen Erzählfilm zeigen würde (in THE FUGITIVE gibt es so etwas ähnliches – da aber als rasche Montage). Deveaus präziser Blick ist obsessiv, zärtlich, impressionistisch. Denn auch hier sieht der Film nicht „dokumentarisch“ aus. Wir beobachten nicht nur einen Mann, der sich rasiert, sondern eine Existenz, die sich transformiert – genauso wie wir bei den meisten Sexszenen nicht nur Männer sehen, die handfest, teils sehr hart ficken, sondern meist auch pure Lust, Freude, Exaltiertheit. Mit purer Körperlichkeit pure Emotion spürbar machen. Deveau erscheint mir nicht als Realist, sondern eher als eine Art transzendentaler Impressionist, wenn man das so sagen kann.
Das zeigt sich auch in dem langen Spaziergang der beiden Liebhaber durch die Natur vor den Toren der Metropole. Das passiert an einem eher grauen Wintertag, aber trotzdem ist das wunderschön: durch Wiesen laufen, am Rand eines Bächleins ein bisschen kuscheln, zwischendurch ein kleiner Handjob, eine vorbeilaufende Katze wird dann ein bisschen geknuddelt. Eigentlich total banal – und doch pures Glück. Robert Aldrich, und ich meine damit nicht den Filmregisseur, sondern den australischen Historiker (Spezialist für französische Kolonialgeschichte und Sozialgeschichte der Homosexualität), sagte einmal sinngemäß, dass das subversivste, was Homosexuelle zu bieten hätten, nicht der schwule Sex sei, sondern das Ausleben von Liebesglück.
Zwei Männer, die spazieren gehen, als politisch subversives Statement? Als implizite Aussage kann man sicherlich auch den Sex zwischen dem jungen Mann vom Land und seiner Freundin sehen: ihre Sexszene ist nicht wesentlich kürzer als die schwulen Sexszenen, und wird nicht wirklich viel anders gefilmt (vielleicht allenfalls konventioneller). Ich kenne mich im US-amerikanischen Pornofilm der 1970er Jahre zu wenig aus, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass besonders viele „Mainstream“-Pornos auf derartig beiläufige Weise ausgedehnte, schwule Sexszenen einbauten.



ca. 01.30 Uhr

Spezialprogramm Scopitones

Bevor es mit Erwin C. Dietrichs HINTERHÖFE DER LIEBE weitergehen sollte, gab es ein Vorprogramm mit Scopitones. Die Scopitones waren kurze 16mm-Filme, die in den 1960er Jahren in speziellen Jukeboxes abgespielt wurden: statt eine Platte abgespielt wurde ein Film (heute würde man sagen: Musikclip) projiziert. Nach einer kurzen Belehrung, dass das Tanzen vor der Leinwand nur erlaubt sei, wenn man sich vorher ausziehe, ging es los...
Getanzt hat zwar niemand (also: nicht solange ich dort war), aber die Stimmung im Saal war Bombe. Natürlich gab es nicht nur einige ziemlich fetzige Musikstücke, sondern auch Filme, deren Siegel „approved by Hofbauer-Kommando“ hohe Schmierwerte garantierten. Da war natürlich dieser Auftritt der älteren Herrschaften, die angezogen waren wie der Rentner-Fanclub von DAS TRAUMSCHIFF und vor einer kitschigen, maritimen Sonnenuntergangskulisse völlig begeistert von den Reizen einer Prostituierten in einem fernöstlichen Bordell sangen (es war zwar von einem „Mädchen“ die Rede, nicht von einer Prostituierten, aber es war trotzdem leicht zu verstehen). Dann gab es noch ein Samba- bzw. Latin-angehauchtes Cover von Herbie Hancocks „Watermelon Man“. Das Setting: ein afrikanischer Dschungel. Dramatis personae: ein halbnackter „Ureinwohner“, der auf einer Trommel trommelt; mehrere Frauen im Bikini, die so aussehen und sich verhalten, als hätten sie gerade ziemlich starkes Gras geraucht oder noch etwas stärkeres genommen und sich dann in Hängematten flätzen; natürlich braucht es in diesem Kontext unbedingt auch einen... sturzbetrunkenen Schotten. Handlung: der „Ureinwohner“ trommelt, die Bikinifrauen flätzen sich, der Schotte torkelt betrunken. Dazu dudelt eine Latin-Bastard-Fassung von „Watermelon Man“...
DER ZWEITE FRÜHLING und CARMEN, BABY wurden unter anderem zur Ehrung ihrer kürzlich verstorbenen Regisseure Ulli Lommel und Radley Metzger gezeigt. Wie nett, dass also auch ein Scopitone mit dem kürzlich verstorbenen Johnny Hallyday gezeigt wurde... als plötzlich die Projektion abbrach, das Licht auf maximaler Stufe anging und eine ohrenbetäubende Sirene ertönte.
FEUERALARM! Ein echter Stimmungskiller. Ein paar Meter weiter auf der Etage lief eine Tanzparty, wo vermutlich irgendjemand den Alarm ausgelöst hat. Die Zuschauerschaft versammelte sich also vor dem Saal und ging dann aus dem Gebäude. Meine Moral war am Boden zerstört. Meine physische Kondition auch. Es war schon halb drei Uhr morgens und Erwin C. Dietrich war mir bislang als Produzent eh lieber denn als Regisseur. Resigniert und müde lief ich zu meiner Unterkunft. Der Feuerwehrwagen mit der Sirene fuhr, als ich schon gut zehn Minuten Weg hinter mir hatte, vorbei.
Am nächsten Tag erfuhr ich, dass das ganze wie vermutet ein Falschalarm war. Es ging dann weiter mit dem Programm. Über HINTERHÖFE DER LIEBE hörte ich eher gemischte Meinungen...



Sonntag, 7. Januar, ca. 15.00 Uhr

LE BELLISSIME GAMBE DI SABRINA („Mädchen mit hübschen Beinen“)
Regie: Camillo Mastrocinque
Italien / Bundesrepublik Deutschland 1958
Eine Diebesbande begeht einen Juwelenraub. Der einzige sachdienliche Hinweis: eine Dame mit einem markanten Muster von Muttermalen am Oberschenkel war beteiligt. Währenddessen ruft ein Strumpfhersteller einen Fotowettbewerb aus: die schönsten fotografierten Beine sollen prämiert werden und für die Präsentation einer neuen Kollektion eingesetzt werden. Ein Fotograf findet die schönsten Beine bei Sabrina (Mamie Van Doren) – die natürlich zur Diebesbande gehört und nicht „erkannt“ werden möchte.
...oder so ähnlich. Jedenfalls will er sie (die Beine) fotografieren – sie möchte nicht. Natürlich verlieben sich die beiden ineinander, und einen großen Teil des Films besteht darin, wie diese Liebe die „versteckten“ Motive der beiden – er will das Gewinnerbild haben, sie will nicht als Räuberin enttarnt werden – nach und nach überlagert. Dass Sabrina die metaphorischen Hosen anhat, kann zu keinem Zeitpunkt bezweifelt werden. In der schönsten Szene des Films lädt er sie zu sich ein, um sie mit Champagner betrunken zu machen, damit sie endlich den Vertrag unterschreibt (zur Abtretung der Rechte am Foto ihrer Beine, das er ohne ihre Einwilligung geschossen hat – glaube ich). Das ganze geht auf herrlich fürchterliche Art schief. Natürlich sieht sie sofort, dass er seinen Champagner in die Blumenvase oder aus dem Fenster (auf den Kopf eines Kollegen, der draußen die Szene belauschen möchte – was für ein toller Lacher!) kippt, dreht den Spieß um, bis er schließlich in kurzer Zeit so betrunken ist, dass er kaum noch gerade stehen kann und schließlich völlig hinüber auf das Sofa sinkt. Ach... wie schön!
LE BELLISSIME GAMBE DI SABRINA fühlt sich weniger wie eine Proto-commedia-sexy an als vielmehr sehr amerikanisch – sozusagen eine Screwball-Komödie all‘italiana. Er ist von A bis Z ein wunderbar kurzweiliger, witziger, lustiger, entspannter und entspannender Film. Er nimmt sich auch viel Zeit, um kleine Nebenwege zu beschreiten (selbst in der gezeigten gekürzten deutschen Kinofassung, die um fast 25 Minuten geschnitten ist, war das zu spüren). Da ist ein Kollege des Protagonisten (gespielt von Adrian Hoven), der in seinem Studio eine zugeknöpfte Dame fotografiert und sie unbedingt nackt oder halbnackt bekommen möchte: jeden weiteren Tag lässt er sie einen weiteren Knopf aufmachen (bis sie am Ende dann tatsächlich in Dessous zu sehen ist) – könnte man das im Jargon des Hofbauer-Kongresses möglicherweise „Peripher-Schmier“ nennen? Dann gibt es natürlich das Miteinander zwischen den beiden anderen Mitgliedern der Diebesbande: Sabrinas Vater / Onkel / Opa / Großcousin (was auch immer), der zugleich Kopf der Bande ist, und James, der in erster Linie als Butler des älteren Herren und Sabrinas dient. Dass Sabrina durch ihre Liebe zum Fotografen vom „rechten Weg“ des Verbrecherberufs abkommt, nehmen die beiden Herren sehr gelassen. Gefühl sei eben die gefährlichste Schmuggelware...
Weniger entspannt als der Film dürfte es der Vorführer gehabt haben: die Kopie war durch das Essigsyndrom fast vollkommen hinüber, das Material so gewölbt, dass die Schärfe sich zumindest in einem Akt fast im Sekundentakt verschob und nachgestellt werden musste. Über den Hofbauer-Kongress wird ab und zu auch geschrieben, dass man hier Filmkopien beim Sterben sehen kann: das war bei diesem Film definitiv der Fall. Einer der zwei Wege in bzw. aus dem Kinosaal führt an dem Projektionsraum direkt vorbei. Im Anschluss an die Vorführung konnte man kurz am Vorführraum vorbeigehen und den absolut bestialischen Essiggeruch riechen. Großen Respekt an den Vorführer, der das anderthalb Stunden durchhalten musste!
Für die Nachwelt gänzlich verloren ist LE BELLISSIME GAMBE DI SABRINA glücklicherweise nicht: es gibt eine italienische DVD des Films (da nur mit italienischen Untertiteln allerdings nur für Zuschauer mit Grundkenntnissen der italienischen Sprache geeignet).


ca. 17.00 Uhr

MÄN KAN INTE VÅLDTAS („Wie vergewaltige ich einen Mann?“)
Regie: Jörn Donner
Finnland / Schweden 1978
Die Bibliothekarin Eva wird am Tag vor ihrem 40. Geburtstag von einer flüchtigen Bekanntschaft vergewaltigt. Nachdem der erste Schock vorbei ist, beginnt sie, den Mann (der biedere Autoverkäufer und erfolgreiche Vereinsbowler Martin) in Tarnkleidung zu stalken.
Wenn man Filme mit Fleischgerichten bzw. Fleischspezialitäten vergleicht, dann wäre MÄN KAN INTE VÅLDTAS über weite Strecken so etwas wie Beef Jerky: Trockenfleisch, ohne jeglichen Saft, hochkonzentriert, etwas zäh und spröde. Als Liebhaber von Beef Jerky meine ich das erst einmal als großes Kompliment!
MÄN KAN INTE VÅLDTAS beginnt mit der Protokollierung einer Aussage bei der Polizei, bzw. erst einmal mit der Aufnahme der persönlichen Daten Evas. Kahler Raum, frostige Atmosphäre, Zigarettenrauch, höfliche Tonlage, aber verschlossen-kalte Gesichter. Es fällt auf, dass der Polizist die Daten des Ex-Mannes vor ihren eigenen Daten erfragt, ohne dass irgendetwas mit dem Zeigefinger darauf hinweisen würde. (Später kommt heraus, dass dies nicht Evas Aussage zu ihrer eigenen Vergewaltigung ist, sondern die Selbstanzeige für ihren Racheakt.)
Der Verlauf des schicksalhaften Abends hin zu Evas Vergewaltigung ist keineswegs geradlinig, dabe aber doch erschreckend „banal“. Am Vorabend ihres Geburtstags geht Eva mit ihrer besten Freundin schick essen. Im Nebenraum des Restaurants gibt es eine Vereinsfeier. Ein Gast kommt herüber, setzt sich etwas aufdringlich zu ihnen. Als die beste Freundin geht, weil ihr Ehemann nach ihr ruft, findet sich Eva alleine mit Martin. Geht mit zu ihm. Als er sich ranmacht, macht sie erst mit, wehrt dann ab – er nimmt sie dann mit Gewalt. Eine Zufallsbekanntschaft, aber doch kein anonymer Mann, der aus dem Gebüsch springt.
Das Symbolbild der Vergewaltigung ist eine zu Ende gespielte Platte, die immer weiter auf der Stelle dreht. Danach ist es, abgesehen von Martins fragmentarischen Rechtfertigungsversuchen (es habe ihm auch keinen Spaß gemacht!), weiterhin erschreckend still. Eva verlässt sang- und klanglos die Wohnung, setzt sich zwischendurch auf die Treppe. Ein vorbeigehender Mann sagt ihr – ihren Zustand musternd, aber wohl nicht verstehend – wo draußen im Hof ein Wasserhahn zu finden sei. Draußen „wacht“ Eva ein wenig auf, weil sie bei jedem kleinsten Geräusch zusammenzuckt und um sich schaut. Schließlich gelangt sie nach Hause und fällt in den Schlaf. Das ganze ist schon sehr gut gemacht, weil die Bilder und Töne keinen Thrill suchen, sondern einen Schwebezustand des Schocks rekonstruieren.
Eva wird sich danach nicht an die Polizei wenden und auch sonst niemandem ein Wörtchen über ihre Vergewaltigung sagen, sondern sich auf die Suche nach ihrem Vergewaltiger begeben, ihn finden und in Verkleidung (mit dunkler Perücke und großer Sonnenbrille) beobachten – bis er sie bemerkt. Dann zieht sie die Schraube an, und beginnt ihn regelrecht zu schikanieren: veranstaltet im Autohaus, wo er arbeitet, einen kleinen Skandal, gibt sich ihm in den unangenehmsten Momenten zu erkennen, beobachtet sein Vereinsspiel (was ihn so nervös macht, dass er zur Überraschung seiner Kollegen mehrere Runden verpatzt). Da hat sich eine Frau in sein Leben gemischt, auf eine Weise, über die er überhaupt keine Kontrolle hat
So weit, so gut. Wer in MÄN KAN INTE VÅLDTAS Thrills erwartet, ist wie gesagt an der falschen Stelle. „Den Schritt zur Exploitation wagt er nicht, da ist zu ängstlich, will zu sehr ernstzunehmender Autorenfilm bleiben!“ – so ein Co-Zuschauer sinngemäß im Nachgang. Ja und nein. Es ist denke ich kein Problem, dass MÄN KAN INTE VÅLDTAS sich nicht wie ein Exploitationfilm entwickelt. Problematischer ist es, dass er sich an die selbstverschriebene Mager-Diät, wenn man so will, nicht hält. Alles, was der Film über männliche Selbstermächtigungen, strukturelle Benachteiligungen von Frauen etc. implizit andeutet, ist prinzipiell richtig. Doch zwischendurch stoppt er einfach, um alles noch einmal ganz explizit zu sagen. In dieser Hinsicht am qualvollsten ist eine Sitzung zur Vorbereitung eines Team-Events in der Bibliothek, wo Eva arbeitet: der Direktor erklärt ausführlich, warum Frauen eigentlich keinen Sport treiben können, einige weibliche Mitarbeiterinnen legen dagegen Einspruch, und fragen dann gleich noch, warum sie weniger gut bezahlt werden. Alles richtig, aber in diesen Momenten verwandelt sich ein recht außergewöhnlicher Rape-and-Revenge-Film plötzlich in eine pflichtbewusste Lektüre aus einem Soziologiebuch, in eine Art Reenactment-Einspieler für eine gebührenfinanzierte Primetime-Talkshow – als müsste den dümmsten anzunehmenden Zuschauern noch mal genau und explizit erklärt werden, worum es eigentlich geht.
Noch schlimmer ist es mit Evas bester Freundin, die weniger eigenständige Figur als reine Drehbuchfunktion ist. Ständig erklärt sie in krachledernen Expositionszeilen ganz explizit, was ihr Mann von ihr erwartet. Wenn sie schließlich Eva verkündet, dass sie Brustkrebs hat, fühlt man sich plötzlich wie in einer wirklich schlechten Soap und hört den Film vor lauter Drehbuchrascheln nicht mehr.
Um das Symbol des Jerky wieder aufzugreifen: das ist, als würde man zwischendurch aus Versehen kein Fleischfetzen, sondern dieses Tütchen mit den sauerstoff-entziehenden Kügelchen nehmen und reinbeissen (ist mir nie passiert, da ist die Verwechslungsgefahr zu gering – unangenehm dürfte das trotzdem sein). Oder jemand die Jerky-Stücke vorher in einen Käse-Nacho-Dip tunkt...
Ich bin gespalten. Einerseits liegen die Qualitäten von MÄN KAN INTE VÅLDTAS deutlich auf der Hand. Andererseits war es zum Verzweifeln, einen Film zu sehen, der sich ständig selbst sabotiert. MÄN KAN INTE VÅLDTAS hat keine Angst davor, ein Exploitationfilm zu sein. Er hat Angst davor, seinen selbstverordneten, ultra-spröden und trockenen Stil mit aller Konsequenz durchzuziehen. Angst hemmt...
„Wie vergewaltige ich einen Mann?“ Auf diese Frage gibt Donners Film keine explizite Antwort. Aber eine andere Sache erfuhren die Kongressteilnehmer: nämlich, dass skandinavische Saunawurst offenbar auch aus Hase hergestellt werden kann. Auf dem Weg zu einem Wochenendhäuschen mit eigener Sauna überfährt ein guter Freund Evas einen Hasen. Unschön, aber das passiert eben: deshalb wird der tote Hase zwecks Verspeisen mitgenommen. Querverbindungen zwischen Filmen, die man in nur wenigen Tagen konzentriert hintereinander schaut, tun sich manchmal an den merkwürdigsten Stellen auf...
P. S.: Im Nachgang scheint es mir, dass der auf eine ganz eigene Weise nicht weniger trockene und spröde DAY OF THE WOMAN (aka I SPIT ON YOUR GRAVE) aus dem selben Jahr möglicherweise eine innere Konsequenz an den Tag legt, die MÄN KAN INTE VÅLDTAS vermissen lässt.
ca. 21.00 Uhr

THE FIREWORKS WOMAN
Regie: Wes Craven
USA 1975
Angela und Peter lieben sich sehr. Dass sie Geschwister sind, steht ihrer Liebe allerdings in den Augen der Gesellschaft (und Gottes) im Weg. Deshalb wird er Priester und verstößt Angela, die sich in einer Reihe erotischer Abenteuer und Fantasien nach ihrem geliebten Bruder fast verzehrt.
Wes Craven ist bestimmt kein cinéaste maudit, aber THE FIREWORKS WOMAN ist sein film maudit: der Pornofilm aus seiner Filmographie, den selbst die Cinémathèque Française bei einer stark auf Vollständigkeit bedachten Retrospektive ausließ. Beim Hofbauer-Kongress bekam der Film seine Chance und entpuppte sich als echter Gewinner! Wie LEFT-HANDED, wenn auch auf ganz andere Weise, ist es ein sehr impressionistischer Film und war nur einen kleinen Hauch weniger experimentell. Durch die fast strahlenden, leicht überbeleuchteten Bilder, die fast ineinander verschwimmen, die elliptische Montage und die fiebertraumähnliche Atmosphäre entsteht eine sehr unmittelbare Faszination.
Wie mehrere andere Filme auf dem Hofbauer-Kongress ist auch THE FIREWORKS WOMAN ein leidenschaftlicher Liebesfilm, eine visuelle Ode an eine problematische Liebe. Von den vielen unterschiedlichen und faszinierenden Frauenfiguren, die während der vier Tage zu sehen waren, war Angela die wohl einzige Frau, die tatsächlich zufrieden wäre, einfach nur mit dem Mann, den sie liebt, zusammen zu leben – und nichts weiter. Und ausgerechnet er verzichtet. Zieht sich an der Schwelle zum Erwachsenwerden von ihr aus Scham und Reue zurück und flüchtet in das Dasein als Priester. Sie fleht ihn zwar an, steckt ihre zarten Finger durch das Gitter des Beichtstuhls zu ihm, aber er zieht die Trennwand einfach zu, schneidet ihr symbolisch fast die Finger ab: eines der großartigsten Bilder eines Films, der ohnehin toll aussieht. THE FIREWORKS WOMAN ist auffällig „high-key“ fotografiert, so dass alles unnatürlich strahlend aussieht, wie in einer Art Traum oder Trance. Das passt perfekt, da im Mittelteil vieles von dem, was man sieht, sich nur wahrscheinlich nur in Angelas Fantasie und Fieberträumen abspielt.
Craven deckt in THE FIREWORKS WOMAN eine sehr große Bandbreite an Atmosphären in den Sexszenen ab. Zwischen Angela und Peter ist die Stimmung fast schon sakral: gefilmt werden sie meist vor einem strahlend Hintergrund aus weißen Tüchern, und der Film macht hier ganz klar, dass zwei Menschen hier nicht „nur“ Sex haben, sondern wahrhaftig Liebe machen. Sex als Gottesdienst der Liebe? So zärtlich gehen allerdings nicht alle Charaktere mit Angela um. Als Peter die Priesterweihe empfängt, „schiebt“ er Angela als Dienstmädchen zu einem steinreichen Paar „ab“. Der Mann und die Frau machen sich gleich über Angela her, demütigen und missbrauchen sie sexuell. Diese Momente sind dezidiert unsexy, sehr unangenehm, beklemmend. Wer Spuren des Horrorfilmregisseurs Craven in THE FIREWORKS WOMAN sucht, wird wahrscheinlich hier fündig. Noch unsexier ist die schroffe Vergewaltigung durch einen Fischer, der Angela zuerst vor einem übergriffigen Kollegen rettet (aber dann nur, um sie für sich zu haben). Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, das ganze spielt sich zudem auch auf einem riesigen Berg toter Fische ab, was das ganze noch abstoßender macht. Eine ganz andere Nummer ist wiederum das, was man als den „zärtlichen Dreier in der Scheune“ bezeichnen könnte. Angela, nachdem sie von den beiden übergriffigen Reichen geflohen ist, besteigt ein Boot, driftet ins offene Meer ab, verbleibt dort Tage unter der prallen Sonne und wird kurz vor ihrem Tod zufällig von einem Segler-Paar gerettet. Mit ihren beiden Rettern geht sie dann ein Stück mit und hat Sex in einem Heuschober. Der „zärtliche Dreier“ war der vielleicht „realistischste“ Moment im ganzen Film, weil er nicht überleuchtet-strahlend gefilmt war – und doch bin ich bei keiner anderen Szene so dermaßen sicher, dass das nur in der Fantasie Angelas passiert. Jedenfalls ein sehr schöner Moment: der einzige, in dem sie auch ohne Peter wirkliche Freude hat.
Nachdem sie fast dehydriert auf dem Boot stirbt, stellt sich überhaupt die Frage, ob der ganze Film vielleicht der Fiebertraum einer sterbenden Frau ist. Immer wieder begegnet sie auf ihrer Reise einem mysteriösen Mann mit Zylinder und Zigarre im Mund. Ein Todesengel? Jedenfalls ein schönes Cameo des Regisseurs höchstpersönlich.
Gezeigt wurde übrigens eine 35mm-Kopie der italienischen Kinofassung. THE FIREWORKS WOMAN lief also auf Italienisch mit selbst erstellten Untertiteln, die sich an der englischen Originalversion orientierten. Der italienische Verleih „zensierte“ den Film, in dem aus den zwei Geschwistern in den Dialogen zwei Cousins gemacht wurden. Außerdem wurde der Film nicht gekürzt, sondern sogar verlängert! An mehreren Stellen werden auf äußerst grobe Weise Rückblenden eingefügt mit zwei Kindern, die Angela und Peter im Kindesalter spielen sollen. Auch wenn einige Kongressbesucher anderer Meinung waren: ich finde, diese Zusätze passen ganz und gar nicht in den Film, weil sie erstens die rudimentäre Handlung des eher impressionistischen als wirklich geradlinig-narrativen Films auf relativ plumpe Weise zu psychologisieren versuchen, zweitens den bei allem Impressionismus sehr präzisen Schnittrhythmus des Films komplett durcheinander bringen, drittens atmosphärisch überhaupt nicht passen, weil plötzlich in einem Film, der in New-England spielt, Szenen einfließen, die offenbar in der Toskana oder der Emiglia-Romagna spielen (wohl, weil sie wahrscheinlich tatsächlich dort gedreht wurden). Kopfschütteln meinerseits. Vollkommen unverständlich, aber fast schon dadaistisch anmutend, ist die Einfügung von etwa fünf Minuten, in der eine Motorradgang in einer wiederum gänzlich anderen Landschaft (ich schätze Texas oder Nevada, jedenfalls am Rand einer Wüste) eine Tankstelle angreifen, bis diese schließlich in die Luft geht... Warum nur?


ca. 23.30 Uhr

DAS RASTHAUS DER GRAUSAMEN PUPPEN
Regie: Rolf Olsen
Bundesrepublik Deutschland / Italien 1967
Das Gaunerpärchen Bob und Betty wird bei einem Raubüberfall erwischt. Er kann entkommen, sie kommt in den Frauenknast, wo sie erst erfolgreich die sexuellen Übergriffe der Direktorin Nipple abwehrt, und dann mit vier neuen Partnerinnen-in-Crime entflieht. Mit ihnen bahnt sich Betty auf blutige Weise einen Weg zu einem abgelegenen Landgasthaus, wo Bob auf sie wartet. Intrigen zwischen den grausamen Puppen, im falschen Moment vorbeikommende Komparsen, die schnell mal als Leiche im Essensraum enden, viel Alkohol, ein fürchterlich verpatzter Entführungsplan und die Polizei auf den Fersen sorgen für Freude beim Zuschauer und einen hohen body count unter den Filmfiguren.
Wer den Kongress bis dahin durchgehalten hat (einige Zuschauer reisten früh Abends leider wieder ab), wurde mit dem größten Exploitation-Kracher der vier Tage belohnt. DAS RASTHAUS DER GRAUSAMEN PUPPEN schlüpft vom Heist-gone-wrong-Szenario zum sadistisch-schmierigen Women-in-Prison-Exploiter, dann zum nägelbeissenden Flucht-Thriller, bevor wir uns dann unnachgiebig in etwas begeben, was man wohl als ultraschwarze Slapstick-Komödie am Rande des Nervenzusammenbruchs bezeichnen könnte – und all das in nur knapp 95 Minuten!
Ja, DAS RASTHAUS DER GRAUSAMEN PUPPEN war der dichteste Film des Kongresses, vollgepackt mit eigensinnigen Figuren, kinnladerunterklappenden Situationen, teuflischen Intrigen, urkomischen Versteckspielen mit herumliegenden Leichen, herzzerreissender Tragik, blutgefrierenden Morden, überlebensgroßem Melodrama und fetzigen Frau-zu-Frau- sowie Frau-zu-Mann-Kämpfen. Vieles davon einfach aufzusummieren ist an sich nicht so schwierig, aber Rolf Olsen, dessen BLUTIGER FREITAG letztes Jahr eine restaurierte Auferstehung erlebte (und von vielen als Meisterwerk des „unterschlagenen“ deutschen Films gefeiert wurde – meine Sichtung steht noch aus), schafft es, all diese disparaten Elemente zu einer untrennbaren Einheit zusammenzubringen. So wie ich es eben beschrieben habe, klingt DAS RASTHAUS DER GRAUSAMEN PUPPEN möglicherweise wie eine reine Nummern-Revue: er ist es nicht, sondern wesentlich mehr – ein von A bis Z perfekt durchkomponierter Film. Perfekt, ohne konstruiert zu wirken, sondern sehr organisch. Wie eine wilde Achterbahnfahrt, die zwischendurch wirkt, als wären eben sämtliche Schutz- und Sicherheitssysteme durchgebrannt (während im Hintergrund der Fahrgeschäft-Leiter Olsen alle Hebel sicher in der Hand hat).
DAS RASTHAUS DER GRAUSAMEN PUPPEN ist voll mit kleinen Leckerbissen, die das Herz des Exploitationfreundes höher schlagen lassen. In den knapp zehn bis fünfzehn Minuten, die im Gefängnis spielen, gibt es lesbische Anzüglichkeiten satt, eine Folterung mit heißem Wasser und nicht zuletzt eine Direktorin namens Nipple (sic!), die in S&M-mäßiger Aufmachung dominant herumstolziert... Später, im Rasthaus, veranstalten die grausamen Puppen, angezogen in ihren besten Négligés, eine wilde, alkoholgeschwängerte Feier, während die Leiche des ermordeten Rasthausbesitzers unter dem Tisch bereits langsam abkühlt.
Wie sehr Olsen alle Register zu ziehen weiß, zeigt sich aber nicht zuletzt in den zahlreichen Nebenfiguren, die den Film bevölkern. Dazu gehören eine alte, neugierige Frau aus dem naheliegenden Dorf mit einem kleinen, recht aufdringlichen Hund und ein Übernachtungsgast, der sich als spießiger Geizhals entpuppt – eigentlich grobe Klischees, mit dicken Pinselstrichen gezeichnet, aber in der Art, wie sie dargestellt und gezeigt werden doch hochlebendige Charaktere. Gänzlich unerwartet war aber die Figur der Millionärin Oland, die die grausamen Puppen entführen wollen, um von ihrem Ehemann Lösegeld zu erpressen. Es wird angedeutet, dass die gute Frau (herausragend gespielt von Margot Trooger) geistig leicht verwirrt ist. Tatsächlich scheint sie unter Gedächtnisstörungen und einem schweren Verlust des Realitätssinns zu leiden. Wie leicht wäre es gewesen, sie zu einer Witznummer zu machen. Bei einer ihrer täglichen Besorgungen geht sie zum Friedhof, und besucht das Grab ihres Sohnes, der mit sieben oder acht Jahren starb. Hier wird schmerzlich klar, dass das keine „Neurose“ ist, sondern dass die gute Frau es nicht geschafft hat, mit ihrer Trauer umzugehen. Wenn sie mit dem Grabstein spricht und ihm zum Geburtstag ein schönes Fahrrad verspricht, erreicht DAS RASTHAUS DER GRAUSAMEN PUPPEN eine gänzlich unerwartete Tragik und ein tiefes Verständnis für eine Frau, die mit inneren Dämonen kämpft. Lachen, Jubilieren, Freude über die exploitativen Schauwerte, Thrills, existentielle Tragik und Zärtlichkeit (wenn sich die entflohenen grausamen Puppen etwa in einem geschlossenen Kaufhaus nächtens ihrer Häftlingskleidung entledigen und sich wieder schön machen) gehen Hand in Hand. Das Lachen, das im Hals stecken bleibt. Schockierende Grausamkeit, gefolgt von einem harmlosen kleinen Witz. Wie Olsen spielend leicht mit Atmosphären jongliert erinnerte mich ein bisschen an die späten Filme Robert Aldrichs.
Ungeachtet von Olsens Talent für eine punktgenaue Regie – ohne Essy Perssons unbändige Energie würde der Film wohl nicht so gut funktionieren. Sie, die Betty verkörpert, die grausamste aller Puppen, mit einem leicht irren Blick, einem zu allem entschlossenen Ausdruck im Gesicht, einer fast berstenden körperlichen Anspannung...
Die Besucher des Hofbauer-Kongresses hatten das rare Privileg, DAS RASTHAUS DER GRAUSAMEN PUPPEN in der originalen, ungekürzten Kinofassung zu sehen, in einer übrigens wunderschönen Kopie. Der Film fiel später Schnitten zum Opfer, die heute erhältliche DVD enthält nur eine geschnittene Fassung, die wohl auch im Fernsehen läuft. Mit anderen Worten: eine Kampagne à la „Rettet die grausamen Puppen“ wäre nicht verkehrt, und wäre sich zumindest meiner Unterstützung sicher (und der zahlreicher anderer HK-Besucher bestimmt auch).


Epilog: Holt uns der Tod doch ein?

Bevor die Projektion von DAS RASTHAUS DER GRAUSAMEN PUPPEN begann, gab es eine längere Ankündigung. Der Hofbauer-Kommandant Christoph, auch Hauptorganisator und gute Seele dieser großartigen Veranstaltung, kündigte an, dass die Zukunft des Hofbauer-Kongresses in der jetzigen Form gefährdet sei. Das liege zum einen daran, dass das eine ehrenamtliche Veranstaltung ist, organisiert unter selbstloser Selbstausbeutung ehrenamtlicher Organisatoren, die natürlich auch an ihre Grenzen kommen. Das liegt aber wohl vor allem auch daran, dass 35mm-Kopien durch ihre zunehmende Musealisierung immer schwieriger zu besorgen sind, Filmarchive die Filme immer seltener herausgeben (vielleicht gerade auch für nicht-offiziöse Veranstaltungen?).
Im Anschluss sprach Konstantin von Forgotten Film Entertainment (das Label, das JEUNESSE PERDUE aka DER PERSER UND DIE SCHWEDIN herausbrachte – Manfred berichtete) und erzählte von der Idee, dass man Filmrestaurationen für vergessene, unterschlagene Filme vielleicht durch eine Art Abonnement-Modell finanzieren könne. Wie das konkret aussehen könnte, könnte man noch schauen. Er empfahl, regelmäßig mal auf der Website von Forgotten Film Entertainment zu schauen. Ich finde die Idee prinzipiell gut, würde das entsprechend meinen Möglichkeiten sicherlich unterstützen und bin mir relativ sicher, dass viele andere Besucher des Hofbauer-Kongresses das ähnlich sehen.
Nun ja... vielleicht wird das 35mm-Kino sterben. Und mit ihm auch zahlreiche großartige, wunderbare, wahnsinnige, unglaubliche Filme. Aber es wird auf jeden Fall Menschen geben, die das ernsthaft betrauern werden...

Bevor das allerdings geschieht: ein riesiger Dank an die Organisatoren, für die tollen Filme, für die unermüdliche Begeisterung, für die logistische Meisterleistung, so viele schöne Filmkopien zusammen zu bringen – und sie mit weiteren Filmnarren zu teilen. Ihr seid großartig und wir lieben euch!