Dienstag, 7. Oktober 2014

Die Rache des schwarzen Samurai

VENGEANCE IS MINE aka DEATH FORCE aka FORCE OF DEATH aka FIGHTING MAD aka THE FORCE aka FIERCE („Death Force – Ein Mann wird zum Killer")
USA / Philippinen 1978
Regie: Cirio H. Santiago
Darsteller: James Iglehart (Doug Russell), Carmen Argenziano (Morelli), Leon Isaac Kennedy (McGee), Jayne Kennedy (Maria Russell)


Als Jim Jarmusch 1999 in GHOST DOG: THE WAY OF THE SAMURAI einen afroamerikanischen Samurai losschickte, um die Unterwelt einer US-Großstadt aufzumischen, klang das nach einem witzigen und originellen Konzept. Doch schwarze Samurais gab es schon länger. Im 16. Jahrhundert soll tatsächlich der afrikastämmige Diener eines italienischen Jesuiten, der Japan besuchte, in den Rang eines Samurai aufgestiegen sein und den Namen Yasuke angenommen haben. Einige Jahrhunderte später, um genauer zu sein in den 1970er Jahren, sprossen schwarze „Samurais“ geradezu aus dem Boden, als in einer der vielen Varianten von Exploitation-Crossovers Blaxploitation und Martial Arts Film zusammenfanden. THAT MAN BOLT (1973, mit Fred Williamson), BLACK BELT JONES (1974, mit dem Karateka Jim Kelly) und DEATH DIMENSION (1978, ebenso mit Jim Kelly) verbanden ostasiatische Kampfkunst-Action mit schwarzen Hauptfiguren, auch wenn es sich offenbar nicht um Samurais mit Schwertern handelte. Die Inhaltsangabe von BLACK SAMURAI (1977, wieder Jim Kelly) suggeriert nicht wirklich, dass der Titel wörtlich sein Versprechen einhält, hat aber in seinem imdb-Eintrag zumindest die Stichworte „samurai“, „sword fight“ und „katana sword“ gelistet.

Anders bei VENGEANCE IS MINE (der Film hat mit Imamura Shoheis ein Jahr später veröffentlichtem Film nichts zu tun. Auf die verwirrende Titelvielfalt komme ich noch zu sprechen – ich nutze einheitlich diesen Titel, weil meine Fassung ihn trägt), in dem tatsächlich ein schwarzer Samurai zum Schrecken der Unterwelt von Los Angeles wird. Doch wie kommt es dazu?

Drei (noch) fröhliche Veteranen nach dem Deal
Russell, Morelli und McGee haben zusammen in Vietnam gekämpft. Nun können die Soldaten nach Hause zurückkehren. Morelli und McGee träumen von einer Karriere als Ganoven, die schnelles Geld, Ruhm, Macht und Frauen verspricht. Russell hingegen will nur eins: zu seiner Ehefrau Maria zurückkehren und ein bürgerliches Leben führen. Doch zunächst werden die drei auf den Philippinen stationiert, wo sie sich ein kleines Taschengeld verdienen wollen. Sie wickeln einen kleinen Goldschmuggel-Deal mit einem zwielichtigen Mafioso ab – wo sie das Gold warum und wie gefunden haben, soll uns nicht weiter interessieren. Auf einem kleinen Kreuzer wollen nun die drei Veteranen mit viel Geld in der Tasche zurückkehren. Doch Morelli hat eine bessere Idee: wenn er und McGee ihren Kollegen Russell töten, bleibt mehr von der Beute für sie beide übrig – und mehr Einstiegskapital für ihre verbrecherischen Vorhaben, an denen Russell sich eh nicht beteiligen will. Gesagt getan! Morelli und McGee schnappen sich Russell, erstechen ihn, schneiden ihm die Kehle durch und schmeißen ihn ins Meer.

In Los Angeles zurück beginnen die beiden fiesen Armeeveteranen, sich in die Geschäfte der Unterwelt einzumischen. Sie beseitigen Konkurrenten durch Einschüchterungen, massive Zerstörungen und schließlich durch Mord. Derweilen wird Russell an den Strand einer fast einsamen Insel gespült. Zwei Japaner in abgerissenen Soldatenuniformen entdecken den für tot gehaltenen, aber nur schwerverletzten Mann, bringen ihn in ihre Höhlenunterkunft und pflegen ihn gesund. Als Russell wieder Bewusstsein erlangt, glaubt er seinen Augen kaum. Sugoro stellt sich als Oberst der Kaiserlich Japanischen Armee vor (die 1945 aufgelöst wurde). Ichikawa, ein einfacher Soldat, ist sein Diener. Beide landeten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs auf der Insel, wurden aber nach der Kapitulation vergessen und leben seit etwa drei Jahrzehnten zivilisationsfern wie Robinsons. Wie kampfbereite Robinsons freilich: Sugoro ist überzeugt, dass der Zweite Weltkrieg noch in Gange ist.

Russell wird von zwei japanischen Soldaten gefunden
Morelli und McGee mischen die Unterwelt von L. A. auf
Während Russell auf der verlassenen Insel langsam wieder zu Kräften kommt, haben sich Morelli und McGee dank brachialster Gewalt einen führenden Platz in der kriminellen Welt Los Angeles erarbeitet. Konkurrenten werden weiterhin ermordet, doch die Geschäfte laufen mittlerweile so gut, dass einige – genauso wie die Polizei – auch einfach gekauft werden können. Und für McGee bleibt nun auch Zeit, um Maria Russell zu besuchen, sie über das Dahinscheiden ihres Mannes zu unterrichten und ihr dann auf äußerst penetrante Weise den Hof zu machen. So könnte es weiter gehen, doch Russell hat den Verrat nicht vergessen. Er lebt nun in einer interkulturellen und intergenerationellen Veteranen-WG und beginnt, sich für Sugoros Kampfkunstwissen zu interessieren. Dieser willigt ein, den Amerikaner zu unterrichten. In langen Tagen trainiert Russell genug hart, um schließlich von Sugoro zum Samurai ernennt zu werden und zwei Schwerter verliehen zu bekommen. Doch das löst nicht das Problem, dass Russell auf der Insel festsitzt.

Seine Ehefrau, die ihn für tot hält, verliert derweilen ihren Job als Nachtclubsängerin und findet auch keine andere Anstellungen – dem Zuschauer wird rasch klar, dass McGee, der als großer Boss die wichtigsten Nachtclubs von L. A. kontrolliert, Maria wohl auf eine schwarze Liste gesetzt hat, nur, um ihr dann „großzügig“ Arbeit anzubieten, wenn sie bloß „netter“ zu ihm wäre. Auf der weit entfernten tropischen Insel stirbt derweilen Ichikawa bei einem Unfall. Kurz danach landet eine Einheit der philippinischen Armee auf der Insel. Für Sugoro ist dies ein Grauen, für Russell eine große Chance – ersterer begeht Seppuku,  letzterer kann, mit zwei Samurai-Schwertern im Handgepäck, in die USA zurückkehren.

Russell "fragt" sich zu McGee und Morelli durch...
...und findet seine Familie wieder.
In L. A. angekommen betätigt sich Russell in zwei Richtungen. Er sucht einerseits seine Frau, die er vorerst nicht findet (sie musste – nunmehr arbeitslos – bei einer Freundin einziehen). Andererseits fragt er sich zu Morelli und McGee durch und metzelt dabei jeden Ganoven nieder, der ihm nicht freundlich genug antwortet. Dass kleine Gangster mit Schwerthieben verstümmelt aufgefunden werden, sorgt bald für Unruhe in der Unterwelt. Little Tokyo wird nunmehr – trotz Beschwichtigungen – argwöhnisch beobachtet. Geschäftsführer von Clubs und Restaurants, die Schutzgelder an Morelli und McGee bezahlen, beschweren sich, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen. Als jemand von einem Schwarzen mit einem Schwert erzählt, dämmert es den beiden frisch gebackenen Gangsterbossen langsam, dass Russell von den Toten auferstanden und zurück gekommen ist, um sich zu rächen.

Dieser findet erst einmal seine Familie wieder und sieht zum ersten Mal überhaupt seinen Sohn. Eigentlich eine ideale Gelegenheit, um mit Maria und Nachwuchs aus der Stadt zu verschwinden. Doch Russell denkt nicht daran: es ist für ihn eine Frage der Ehre, seine beiden Fast-Mörder zu jagen und hinzurichten. Er drängt zur Eskalation: einer Begegnung mit Russells Schwert entkommt McGee mit einem Ohr weniger, während Morelli dabei seinen Kopf verliert. McGee entführt daraufhin Maria und ihren Sohn in seine mexikanische Fluchtvilla. Russell folgt ihm dorthin und richtet ihn und all seine Gehilfen mit dem Schwert. Gerächt will der schwarze Samurai mit seiner Frau und seinem Sohn in die Zukunft ziehen, wird jedoch von einem korrupten Polizisten in McGees und Morellis Dienst aus dem Hinterhalt erschossen.

Die lange Inhaltszusammenfassung macht es vielleicht klar: VENGEANCE IS MINE ist ein unheimlich dichter Film, der beeindruckend viele Elemente in sich vereint. Das Herz und die Seele des Film ist meiner Meinung nach die Sequenz, die ich der Anschaulichkeit halber als „interkultureller Buddymovie meets Veteranendrama im Robinsonade-Gewand“ bezeichnen würde. Hier finden sich verschiedene Personen wieder, die sich einander verstehen, gerade weil sie sich teilweise missverstehen. So murmelt Russell, noch an der Schwelle zum Tod, im Delirium immer wieder „those motherhumpers“. Ichikawa fragt seinen Offizier, was der Amerikaner sagt, und Sugoro meint, das sei ein Englisch, das er nicht verstehe. Als die beiden japanischen Soldaten den Vietnamveteranen fragen, wer ihn so schwer verletzt habe, weicht er unwillig aus und murmelt wieder etwas von „those motherhumpers“:
– (Sugoro) You said that in your sleep. What does that mean?
– (Russell) Nothing. Some friends of mine.
– (Ichikawa) They do that to you? They no friends. We your friends! We motherhumpers!
Spätestens hier wird klar, dass die drei Männer in Frieden auf der verlassenen Insel zusammenleben werden – auch wenn sie sich gegenseitig oft nicht verstehen.

Interkulturelle und intergenerationelle Veteranen-WG
Im weiteren Verlauf entpuppt sich besonders Sugoro als faszinierende und paradoxe Figur. Einerseits ist er ein typischer, bornierter Militär mit fast klischeehaften Zügen eines japanischen Imperialisten: „I‘m shogun here, I‘m the supreme commander of the island.“ sagt er an einer Stelle selbstherrlich, als Russell sich weigert, dessen Befehle zu befolgen. Er ist überzeugt, dass der Zweite Weltkrieg noch in Gange ist und tut Russells Hinweis, dass dem mittlerweile nicht so wäre, als amerikanische Propaganda ab. Zusammen mit dem gemeinen Soldaten Ichikawa hält der Oberst die verzerrte Karikatur einer Armeestruktur aufrecht: die allerletzte Einheit der Kaiserlich Japanischen Armee, verloren irgendwo auf einer kleinen philippinischen Insel. Dennoch ist er praktisch dazu verurteilt, wie ein Robinson außerhalb der Zivilisation und des Weltgeschehens zu leben. Das muss für ihn schmerzhaft sein, denn er ist offenbar auch ein kultivierter Mann, der sich teilweise weltoffen zeigt. Sein Englisch ist wesentlich besser als das von Ichikawa und immer wieder schwärmt er von amerikanischem Baseball und besonders von Joe DiMaggio (deutet das darauf hin, dass Sugoro einmal die USA besucht hat?). Russells Hinweis, dass der Baseballer jetzt Werbung für vollautomatische Kaffeemaschinen macht, versteht er nicht („What‘s wrong with coffee pots?“).

Sugoro weigert sich zunächst, Russell zu unterrichten: „It‘s no use to learn how to fight. Learn how to live.“ Außerdem sieht er, dass der Amerikaner nur die Schwertkampfkunst erlernen möchte, um sich zu rächen, während für den Japaner diese in erster Linie eben das ist: eine Kunst. Schließlich willigt er ein: aus Langeweile, aus Sympathie für den jungen Vietnamveteranen und wohl auch, weil er relativ sicher ist, dass nie jemand sie auf der Insel finden wird. Auch ein Punkt, in dem sich der Amerikaner und der Japaner uneinig sind. Und ein wunder Punkt Sugoros: nachdem er Russell kennen lernt, möchte er erst recht nicht entdeckt werden. Weil er sich eingestehen muss, dass der Krieg offenbar wirklich verloren ist und er somit Jahrzehnte lang in einer Blase lebte. Weil er zu sehr Angst vor dem Japan hat, das er entdecken könnte. Als sein Diener Ichikawa stirbt, erkennt er erst, was er an ihm hatte: der einzige Mensch, mit dem er in einem Zeitraum von Jahrzehnten gesprochen hatte. Lieber stirbt er auf der Insel, als sich der „neuen“ Welt draußen zu stellen.

Der Weltkriegsveteran als kampfbereiter Robinson
Sugoro ist auch deshalb ein faszinierender Charakter, weil mit ihm zwischen den Zeilen das Schicksal eines traumatisierten, verwirrten und von der Gesellschaft völlig entfremdeten Veteranen erzählt wird – und zwar explizit aus der Sicht eines japanischen Soldaten, der zudem auch größtenteils mitfühlend gezeichnet wird. VENGEANCE IS MINE kam im selben Jahr heraus wie COMING HOME und THE DEER HUNTER, also zwei Mainstreamfilmen, die das Schicksal von Vietnamveteranen verhandelten – was die US-philippinische Koproduktion implizit und symbolisch mittels eines verschanzten japanischen Soldaten macht.

VENGEANCE IS MINE erzählt auch, ich möchte fast sagen „nebenbei“ und „mit links“, eine klassische Geschichte vom Aufstieg und Fall einer Gangsterbande. Die beiden Heimkehrer Morelli und McGee erfüllen sich ihren eigenen amerikanischen Traum, indem sie mit rücksichtsloser Gewalt oder mittels Korruption alles niedermachen, was sich ihnen in den Weg stellt oder stellen könnte. Dabei ist es interessant, dass beide im Grunde schon bestraft werden, bevor das Schwert Russells sie richtet. Morelli ist stets gestresst, besorgt, unruhig und schließlich paranoid. Von Glamour des Paten-Lebens ist nichts zu spüren. Währenddessen hat McGee materiell alles, was er sich wünscht, kann aber die einzige Frau, die er wirklich haben möchte, nicht besitzen – nicht einmal mit Erpressung. Denn Marias Liebe zu ihrem Doug ist stärker.

Mit seinen starken schwarzen Figuren (Held, love interest, einer der Antagonisten) stellt sich VENGEANCE IS MINE teilweise in die Tradition der Blaxploitation-Filme der frühen 1970er Jahre. Doch interessanterweise ist er wenig selbstreferentiell. Schwarzsein wird im gesamten Film kaum wirklich thematisiert: weder in den philippinischen Szenen, noch auf der Insel, noch in den Teilen, die in L. A. spielen. Sugoro etwa verachtet am Anfang latent den Gestrandeten, aber nur deshalb, weil er US-Amerikaner ist. Schwarze, Weiße, Latinos – in L. A. bringt Russell ohne Unterschied jeden Gangster um, der sich ihm in den Weg stellt. Einen einzigen Hinweis gibt es am Anfang, als McGee zögert, einen „der seinen“ („of my own kind“) zu töten – aber meint er damit einen Schwarzen, oder einen Armeekameraden? Morelli antwortet ihm mit: „Don‘t give me that brother-shit. The only brother is the man on the dollar bill. And he ain‘t black.“ Deutlich markanter ist wohl die Tatsache, dass ganz am Ende ein weißer Polizist einen nur mit kalter Waffe bewaffneten Schwarzen aus der Ferne mit einem Gewehr hinrichtet. Es ist ein unglaublich starkes Schlussbild (festgehalten in einem freeze frame), das thematisch an das Ende von NIGHT OF THE LIVING DEAD erinnert. Hier stellt sich auch die Frage, ob das eben Gesehene nicht komplett in einer blasenartigen Parallelwelt spielte und dieses Finale eine Rückkehr in eine reale US-amerikanische Welt markiert, in der Schwarze am kürzeren Hebel saßen. Es könnte einiges darauf hin deuten, dass besonders philippinisch koproduzierte Exploitationfilme lockerer mit ihren schwarzen Figuren umgingen als rein US-amerikanische Blaxploitationfilme oder gar Mainstreamfilme: schließlich wurden sie mehrheitlich auf den Philippinen gedreht, mit philippinischen Filmemachern und philippinischen Drehteams in einer Umgebung, in der es keine US-amerikanische Realität gab.

Als Rachefilm ist VENGEANCE IS MINE in den ersten zwei Dritteln relativ generisch, entpuppt sich aber in der letzten halben Stunde als „gebrochen“ (was ihn vielleicht nicht so sehr von anderen Rache- und Vigilantenfilmen der Zeit abhebt, die oft wesentlich ambivalenter waren, als Zuschauer und Zensoren zugeben mochten). Der tiefere Sinn von Russells Rachefeldzug wird infrage gestellt, als er seine Frau und seinen Sohn wieder findet. Es folgt nämlich kurz darauf eine „happy family“-Montage in Zeitlupe, die einen Bruch zum vorher Gesehenen markiert und einen Neuanfang suggeriert, der dann aber nicht kommt. Warum bleibt Russell trotz des wieder gefundenen Glücks stur und setzt dieses mit seinem fortgesetzten Rachedurst in Gefahr? Warum geht er nicht mit seinen Liebsten einfach weg? „It‘s a matter of honor“ antwortet er, als ihn das Maria fragt. Dass er weiter an seinem Racheplan schmiedet, zeigt schlussendlich, dass er nicht wirklich verstanden hat, was Sugoro ihm auf der Insel sagte. „It‘s no use to learn how to fight. Learn how to live!“ sagte ihm der Japaner zunächst. „You never win combats in anger“ hörte Russell später vom Weltkriegsveteranen. Tatsächlich agiert Russell wie ein Amokläufer im Autopilotmodus, von Hass zerfressen und von Zorn kontrolliert – also im Grunde nicht so, wie ein Samurai handeln sollte. Dass er am Ende gewaltsam stirbt, scheint in diesem Licht eine bittere Zwangsläufigkeit zu haben – er wollte nicht leben, sondern kämpfen.

Problematische Ehe und Rachedurst
Wie sehr Russell innerlich von Rachedurst zerfressen wird, zeigt auf wunderbare Weise eine (Wende-)Szene kurz nach der Wiederzusammenführung der Familie. Er fährt mit Maria und seinem Sohn ans Meer. Alleine setzt er sich am Strand an den Rand eines Felsvorsprungs und meditiert – sein Schwert auf dem Schoß, ein tosendes Meer im Hintergrund: Gewaltbereitschaft und latente Unruhe in einem eindeutigen Bild vereint. Von Maria ist er abgeschnitten. Zunächst durch den Felsvorsprung. Dann, als sich das Ehepaar das Frame teilt, durch den Knauf des Schwerts, der das harmonische Bild zerstört. Die beiden sprechen zwar miteinander und im Dialog wird deutlich, dass es wohl ein Problem gibt. Doch im Grunde machen alleine nur die Bilder schon deutlich, wo das Problem liegt, und dass Russell nicht ruhen wird, bis Morelli und McGee durch seine Hand getötet wurden.

Diese Szene ist einer von mehreren Momenten, in denen Form und Inhalt vollkommen miteinander verschmelzen und nicht mehr zu unterscheiden sind. Grundsätzlich würde ich sagen, dass VENGEANCE IS MINE über weite Strecken relativ unauffällig, aber effizient und ökonomisch inszeniert ist. Aber das ist wohl nur ein Teil seiner formalen Brillanz. Regisseur Cirio H. Santiago, Kameramann Ricardo Remias und die Cutter Gervacio Santos und Robert E. Waters schaffen es in oft in wenigen Bildern, Figuren einzuführen, Situationen zu verdeutlichen und inhaltliche Zusammenhänge klar zu machen. Fast mühelos werden in der ersten Hälfte des Films Russells Heilung und sein Training zum Samurai, McGees und Morellis Aufstieg zu den Herren der Unterwelt von Los Angeles und Marias Trauer und sozialer Abstieg parallel erzählt. Was anderswo Stoff für drei ganze Filme ergeben würde, wird hier für den Zeitraum eines halben Films aufs Äußerste konzentriert. Exposition, Handlung, Figurencharakterisierung, Aufbau von Atmosphäre: in VENGEANCE IS MINE läuft dies oft alles gleichzeitig. Etwa in der dreieinhalbminütigen Szene im Nachtclub, in der Maria als Sängerin präsentiert wird:
1 ein matching cut zwischen der gleißenden, tropischen Sonne über Russells Kopf auf der Insel und dem Scheinwerfer im Nachtclub leitet die Szene ein und erstellt, trotz geographischer Distanz, eine Verbindung zwischen den beiden Liebenden her
2 das Lied, das Maria zum Besten gibt, erschafft den inhaltlichen Zusammenhang zur extradiegetischen Musik: sie singt nämlich das Titelthema
3 die Szene präsentiert einen zentralen Identitätspunkt Marias: sie ist eine talentierte und ambitionierte Sängerin, die auch ohne Ehemann selbstbewusst für ihren Lebensunterhalt sorgen kann
4 die Szene führt Marias beste Freundin als Figur ein (sie ist Kellnerin im Nachtclub)
5 die Szene führt eine Nebenfigur ein, die später als Freund von Marias bester Freundin erkenntlich wird und dann ein bisschen später auch als Handlanger McGees und Morellis
6 der Kreis wird geschlossen, als die Szene ausklingt, zu einem nachdenklichen Russell abblendet und die Titelmusik nur wieder extradiegetisch erklingt

Schwert- und Körperchoreografien
Zunächst wollte ich solche Szenen als „Pausen“, als „Kitsch-Kadenzen“ bezeichnen, in denen sich der Film Luft holt, um genüsslich in Kitsch zu schwelgen. Bei der Zweitsichtung wurde mir erst deutlich, wie zentral wichtig sie eigentlich sind. Gerade die Szenen, in denen Russell und Sugoro am Strand trainieren, sind auch purer „Action-Kitsch“ im Sinne des Actionkinos der 1970er und 1980er Jahre: delirierende Fetischisierungen der Einheit von Körper und Waffe. Doch sie machen im Laufe der Zeit eine Entwicklung durch: von den holprigen ersten Lektionen, in denen Sugoro Russell mit einem Schwertersatz aus Holz regelrecht den Hintern versohlt bis hin zu den gemeinsamen Schwertchoreographien, gefilmt in fließenden, musikalischen Montagen. Das ist mehr als eine Fetischisierung von Körper und Schwert bzw. von Geist und Schwert (was gemäß Sugoro wesentlich wichtiger ist). Es drückt auch die Verbundenheit der beiden Männer klarer aus als jeglicher Dialog es könnte. 

Vielleicht ist es mittlerweile deutlich geworden, aber es schadet nicht, es explizit zu sagen: ich halte VENGEANCE IS MINE für ein Meisterwerk, und wenn der Film bekannter und gleichzeitig verschmähter wäre, dann stünde dieser Beitrag wohl in meiner inoffiziellen Rubrik „Aufzeichnungen zu einem verkannten Meisterwerk“. Wer steht hinter dieser Perle des Exploitationkinos?

Regisseur Cirio H. Santiago wurde 1936 in Manila geboren, und zwar praktischerweise gleich in das Filmgeschäft hinein. Sein Vater, Ciriaco Santiago, war der Begründer einer der großen Filmproduktionsgesellschaften auf den Philippinen, der 1946 gegründeten „Premiere Productions“. Cirio Santiago übernahm später selbst den Vorsitz der Firma. Seine Karriere im Film begann er offenbar im zarten Alter von 19 Jahren als Drehbuchautor und Produzent, inszenierte dann aber auch rasch eigene Filme.
Ende der 1950er Jahre begann auch das Zeitalter des US-amerikanisch-philippinisch koproduzierten Exploitationfilms, der seine Hochphase in den 1970er Jahren erlebte. Im Inselstaat war es für amerikanische Produzenten (unter anderem zum Beispiel Roger Corman) billiger, Filme zu drehen. Die Philippinen verfügten auch über eine langjährige Filmtradition und über eine große Filmindustrie mit einem breiten Reservoir an erfahrenen und fähigen Handwerkern (zu denen Leute wie Cirio H. Santiago gehörten). Mit Imelda Marcos verfügte das nicht ganz lupenrein-demokratische Land über eine First Lady, die sich sehr für Film interessierte und ein bisschen was vom Geld, das sie nicht in die eigene Tasche steckte, der Filmindustrie zukommen ließ. Auch die philippinische Armee war, wenn sie nicht gerade die Bevölkerung zum Schutz vor Kommunisten terrorisierte, gerne bereit, gegen Bezahlung Ressourcen und Komparsen für Filme zur Verfügung zu stellen. Philippinische Filmemacher profitierten dabei von der Möglichkeit, Filme für einen ausländischen Markt zu produzieren und genossen dadurch größere Freiheiten (besonders im Bereich der Zensur) als bei Filmen für den Inlandsmarkt.
Zeremonielle Übergabe des Todesinstruments
In diesem Kontext arbeitete Cirio H. Santiago. In den 1970er Jahren inszenierte und produzierte er Dutzende Exploitationfilme, teilweise in Zusammenarbeit mit Roger Corman. Dazu gehörten „Women in Prison“-Filme (THE BIG DOLL HOUSE, THE BIG BIRD CAGE, WOMEN IN CAGES, HELL HOLE), zahllose Actionfilme mit oder ohne Martial Arts-Elementen (SAVAGE!, TNT JACKSON) und sogar einen Vampirsexfilm (VAMPIRE HOOKERS). In den 1980er Jahren drehte Santiago zahlreiche Vietnamkriegs- und Vietnamveteranen-Actioner, darunter 1988 einen Film mit dem klangvollen Namen THE EXPENDABLES.
2008 verstarb Santiago in Makati City – doch nicht, bevor die weltgrößte Recyclingtonne des Exploitationfilms, Quentin Tarantino, sich als Fan geoutet hatte. Pelle Felsch, der das Bookletessay zur weiter unten besprochenen deutschen DVD-Edition von VENGEANCE IS MINE geschrieben hat, weist auf die Parallelen in der Struktur von Santiagos Film und KILL BILL hin: „Verrat an der Freundschaft – Tod & Auferstehung – Ausbildung & Auftrag – Rache“. Die dramatische Übergabe des Schwerts an den Lehrling durch den Meister, die in VENGEANCE IS MINE an einem kargen Strand stattfindet, scheint Tarantino zu einer ähnlichen Szene in KILL BILL inspiriert zu haben. Auch in der deutschen Blogosphäre gibt es zumindest einen großen Fan: Sano Cestnik plädierte vor über vier Jahren bei „Eskalierende Träume“ in einer Besprechung von FINAL MISSION (1984) leidenschaftlich für mehr Cirio H. Santiago. Ein Aufruf, dem hier hiermit gefolgt bin.

Noch einige Worte zu den Darstellern: der charismatische James Iglehart spielte zunächst Nebenrollen in zwei Filmen Russ Meyers (BEYOND THE VALLEY OF THE DOLLS, THE SEVEN MINUTES), bevor er dann dem lockenden Ruf der Philippinen folgte und dort für Regisseur und Produzent Cirio H. Santiago die Hauptrolle in drei actionreichen Filmen spielte: SAVAGE!, BAMBOO GODS AND IRON MEN und eben VENGEANCE IS MINE. Dieser ist gemäß imdb auch sein letzter Film. Offenbar hat er sich danach aus dem Filmgeschäft zurückgezogen. Sein Sohn James Monroe Iglehart, der vierjährig auch in VENGEANCE IS MINE den Filmsohn spielt, ist später selbst Film- und vor allem Theaterschauspieler geworden.

Im Film Antagonisten, im wahren Leben Ehepartner:
Jayne Kennedy und Leon Isaac Kennedy
Leon Isaac Kennedy kommt aus dem Blaxploitation-Bereich und blieb auch in den 1980er Jahren dem B-Actionfilm treu. Anfang der 1990er Jahre stieg er aus dem Filmgeschäft aus. Irgendwann in dieser Zeit hat er wohl Jesus für sich entdeckt und betätigt sich heute als evangelistischer Prediger. Von 1970 bis 1982 war er mit Jayne Kennedy, geborene Jayne Harrison verheiratet. Auch sie, die Darstellerin der Maria, blieb dem Filmgeschäft nicht lange treu. 1970 wurde sie als erste Afroamerikanerin zur Miss Ohio gewählt und war im selben Jahr eine der Semifinalistinnen von Miss USA. Sie war wohl offenbar auch die erste Afroamerikanerin, die auf dem Cover des Playboy Magazine abgelichtet wurde. Kennedy spielte vor allem Nebenrollen im Fernsehen und zusammen mit ihrem Ehemann. Cirio H. Santiago kannte sie schon vor VENGEANCE IS MINE durch die Zusammenarbeit bei THE MUTHERS (1976) kennen, einem Film um eine Bande weiblicher Piraten, die sich undercover in ein Plantagengefängnis einschleusen lässt, um eine Kameradin zu befreien. Ihre Karriere bei Film und Fernsehen dünnt sich seit den 1980er Jahren aus, da sie sich vielfältigen Tätigkeiten wie dem Produzieren von Fitnessvideos und der Arbeit bei wohltätigen NGOs und christlichen Organisationen zuwandte.

Im Gegensatz zu seinen Kollegen ist Carmen Argenziano ein umtriebiger Schauspieler geblieben und hat seit seinem Filmdebüt 1969 über 200 Rollen gespielt. Er tauchte einige Male im Umfeld von Corman-produzierten, teilweise in den Philippinen gedrehten Filmen auf, trat aber ebenso in THE GODFATHER: PART II auf. Hauptsächlich spielte er und spielt er Nebenrollen in Fernsehserien, zuletzt in CSI: NY oder DR. HOUSE. Über den Kameramann Ricardo Remias lässt sich rasch in Erfahrung bringen, dass er zum festen Mitarbeiterstamm Cirio H. Santiagos gehörte und über 20 seiner Filme fotografierte.

Und wer sind die Darsteller Sugoros und Ichikawas? Hier ist es tatsächlich schwierig, Namen zuzuordnen. Der Abspann von VENGEANCE IS MINE erwähnt unter „also appearing“ nur noch die Namen der Nebendarsteller ohne Rollennamen (interessant zu sehen: Produzent Robert E. Waters hat mindestens drei Verwandte als Darsteller untergebracht). Im Vorspann werden außer den bekannten Darstellern noch erwähnt: Jose Mari Avellana (bei imdb Joe, nicht Jose), Joonie Gamboa (bei imdb Joonee), Leo Martinez, und ein „guest star“ Roberto Gonzalez (bei imdb überhaupt nicht erwähnt).

freeze frame im Moment des Todes

Hier ist nun der Ort, um noch einmal auf einen bizarren Fakt hinzuweisen: nämlich dass der besprochene Film keinen „richtigen“, oder zumindest keinen „festen“ Titel hat. DEATH FORCE ist gemäß der imdb der Originaltitel. Der Film lief jedoch, wie viele für Grindhouse-Auswertung produzierte Filme, eine zweite Runde Kino-Auswertung durch, dann offenbar mit dem Titel THE FORCE und FIGHTING MAD. Ein Filmplakat mit letzterem findet man bei imdb: witzig ist, dass Leon Isaac (ohne „Kennedy“) und Jayne Kennedy als Hauptrollen genannt werden. Das Plakat nimmt Bezug auf das Playboy-Cover mit Jayne und auf Leon Isaacs Rolle im Film PENITENTIARY, der im Dezember 1979 in den USA anlief. Wahrscheinlich dürfte also FIGHTING MAD der Titel für eine Neuauswertung des Films irgendwann 1980 gewesen sein. FORCE OF DEATH war offenbar der Titel des Films in Großbritannien. Pelle Felsch nennt im Booklet der deutschen DVD auch noch FIERCE als zusätzlichen Neuauswertungstitel in den USA. Gemäß Felsch ist VENGEANCE IS MINE eine komplette Neuschöpfung für die US-amerikanische DVD-Veröffentlichung des Films im September 2013, die erstmals die komplette 110-Minuten-Fassung enthielt. Allerdings scheint er sich zu irren, da das Cover der entsprechenden DVD eindeutig einen Film namens DEATH FORCE zeigt.
Erschwerend kommt hinzu: irgendwo zwischen 84 Minuten und 110 Minuten dauert VENGEANCE IS MINE aka DEATH FORCE aka FIGHTING MAD. Im September 1978 kam der Film in einer 96-minütigen Fassung in die US-amerikanischen Kinos. In Deutschland lief er, stark geschnitten (ob es sich um Gewaltzensur handelte, ist unklar) mit 84 Minuten Laufzeit im April 1982 an. Die 110-minütige Fassung wird teilweise als „director‘s cut“, teilweise als „extended cut“ bezeichnet: wo sie herkommt, ist allerdings unklar. War es eine Premierenfassung, die später (um)geschnitten wurde? Oder ist es die Rekonstruktion einer „imaginären“ Ur-Fassung? Ein zentraler Unterschied ist jedoch ganz sicher: die 110-minütige Fassung enthält als einzige die letzten paar Sekunden – also den Tod Russells durch Erschießung. Das heißt, dass alle kürzeren Fassungen mit einem „happy end“ aufhören.
Der Film ist wie gesagt als US-DVD im Doppelpack mit Santiagos VAMPIRE HOOKERS unter dem Titel DEATH FORCE in der integralen 110-Minuten-Fassung erhältlich. Auf der Website des Labels steht tatsächlich DEATH FORCE aka VENGEANCE IS MINE, wobei letzterer als „Originaltitel“ genannt wird.
In Deutschland ist der Film dieses Jahr beim Label Subkultur / Media Target als Nummer 2 der „Grindhouse Collection“ als DVD-Blu-ray-Dualedition veröffentlicht worden. Der Film liegt in einer relativ guten Qualität vor: manche Momente sind unscharf, etwas kontrastarm, und zumindest eine Rolle (knapp über 10 Minuten) hat einen gelben Laufstreifen in der Mitte. Trotzdem insgesamt gut. Als Bonus gibt es ein Booklet mit einem Essay von Pelle Felsch, der über Grindhousekino, Actionfilme, Männlichkeitskonstrukten in diesen, Cirio Santiago und die verschiedenen Fassungen des Films schreibt – sehr unterhaltsam, stellenweise sogar poetisch (eine Kostprobe: „Aktions-Kino, das Kino der Beschleunigung und abrupten Zersprenung: Die Quintessenz des bewegten Bildes. Der Karatekick, der Knochen splittern lässt. Das Projektil, das menschliches Fleisch penetriert. Der Car-Crash, der feste Materie seiner starren Form entreißt. Die Explosion, Vernichtung aller molekularen Ordnungen. Kino der Zerstörung. Kino der Befreiung“). Weniger unterhaltsam, sondern vielmehr ärgerlich ist der Bonusfilm: MACHETE MAIDENS UNLEASHED, eine Doku über die Geschichte des US-philippinischen Exploitationfilms. Besonders störend ist nicht nur der Stil dieses Machwerks (es ist nicht so sehr ein Dokumentarfilm als eher eine abendfüllende Interviewschnipsel-Montage), sondern auch die schiere Verachtung für sein Subjekt, das er von oben herab zur nostalgischen, aber lächerlichen Freakshow degradiert.

Dienstag, 23. September 2014

Psychorama: Der subliminale Horror!

MY WORLD DIES SCREAMING (auch TERROR IN THE HAUNTED HOUSE)
USA 1958
Regie: Harold Daniels
Darsteller: Cathy O'Donnell (Sheila Wayne Justin), Gerald Mohr (Philip Justin), William Ching (Mark Snell), John Qualen (Jonah), Barry Bernard (Dr. Forel)

Das unheimliche Haus
Die in der Schweiz lebende junge Amerikanerin Sheila Justin, gerade frisch verheiratet, wird regelmäßig von einem immer gleichen Albtraum ... huch, was war das? Da ist etwas im Bild aufgeflackert, was da offensichtlich nicht hingehört. Man konnte es nicht erkennen, aber da war etwas. Merkwürdig. Nochmal von vorn: Sheila wird also regelmäßig von einem Albtraum heimgesucht. Sie wird wie magisch von einem unheimlichen, verlassenen alten Haus angezogen. Sie kann sich nicht erinnern, das Haus tatsächlich schon einmal gesehen zu haben, aber sie hat es im Traum deutlich vor Augen, und es ist immer das selbe. Laut Schild war es früher von einer Familie Tierney bewohnt, aber jetzt steht es leer. Unter einem inneren Zwang geht Sheila in das Haus, die Treppe empor bis zum Dachboden, wo eine unsagbare Gefahr auf sie lauert ... und dann wacht sie schreiend auf. Nanu, es hat schon wieder geflackert. Sehr merkwürdig. Ein Psychiater, der Sheila in Hypnose versetzt, kann ihr nicht weiterhelfen. Aber vielleicht nützt es ihr ja, wenn sie wie geplant mit ihrem Mann Philip ins sonnige Florida zieht. Sheila hat seit ihrer Kindheit in einem Schweizer Sanatorium gelebt, aber jetzt ist sie körperlich gesund. Philip hat sie erst vor kurzem kennen- und liebengelernt.

Sheila und Philip
Doch in Florida wird alles noch schlimmer: Das Haus, das Philip schon vorab in einer einsamen Gegend gemietet hat, ist genau das Haus aus Sheilas Albtraum! Sie erstarrt in Panik und will sofort wieder weg, doch Philip weist das erstaunlich schroff zurück. Das Ehepaar trifft auf den verschrobenen alten Sonderling Jonah, der das Haus hütet, als einziger Mensch weit und breit, nur von einem unheimlichen weißen Hund begleitet. Jonah will die beiden vertreiben, doch Philip besteht darauf, das Haus gemietet zu haben. Er lässt sich schließlich doch von Sheila überreden, wieder abzureisen, doch welch Zufall, der Wagen springt nicht an. Im Motor fehlt ein Bauteil, offenbar gestohlen, während die beiden im Haus waren. Wer außer Jonah käme dafür in Frage? Doch später in der Nacht, als Sheila allein im Zimmer ist, entdeckt sie zufällig das fehlende Motorteil in Philips Koffer. Was führt er im Schilde? Noch eine Entdeckung macht sie in dieser Nacht: In einer Familienchronik liest sie, dass die Tierneys von einem Wahnsinn befallen waren, der sich von Generation zu Generation fortsetzte. Und als grausiger Höhepunkt hat der alte Großvater Tierney an einem Tag im Jahr 1939 auf dem Dachboden alle anwesenden Familienmitglieder mit einer Axt erschlagen, bevor er selbst tot zusammenbrach. Sheila dämmert langsam, dass sie schon als Kind an diesem Ort war, aber ihre Erinnerungen bleiben nebelhaft.

Man beachte die Ratte - oder ist es ein Opossum? - im Mund dieses Herrn
Am nächsten Morgen erscheint Mark Snell, der von Jonah verständigte jetzige Besitzer des Hauses. Er trifft zunächst auf Sheila, bestreitet, das Haus vermietet zu haben, und fordert die sofortige Abreise des Paars. Aber als Philip hinzukommt, erweist es sich, dass er und Mark sich schon lange kennen. Und Sheila erfährt zu ihrer Verblüffung, dass Philip gar nicht Justin heißt, sondern Tierney, und dass er der Enkel des wahnsinnigen Mörders ist. In der nächsten Nacht spitzen sich die Ereignisse wieder zu. Will Philip im Stil eines Jack Torrance in SHINING das Werk seines Großvaters fortsetzen und neue Axtmorde begehen? Oder ist er vielleicht nur ein Schurke, der seine Frau im Stil von GASLICHT und MITTERNACHTSSPITZEN in den Wahnsinn treiben will? Es sei hier nur verraten, dass es keine übernatürliche Erklärung für die Geschehnisse gibt. Der Alternativtitel TERROR IN THE HAUNTED HOUSE, den der Film anlässlich einer Video-Veröffentlichung 1987 verpasst bekam, ist also nicht nur äußerst einfallslos, sondern auch irreführend. Ach ja: Auch in Florida hat es immer wieder geflackert.

Der merkwürdige Jonah ...
Eine übernatürliche Auflösung der Geschichte hätte schlecht dazu gepasst, dass MY WORLD DIES SCREAMING auf den damals allerneuesten Erkenntnissen der Wissenschaft aufbaute. Nun ja, mehr oder weniger. 1957 veröffentlichte der amerikanische Publizist Vance Packard sein Buch The Hidden Persuaders (dt. Die geheimen Verführer), in dem er sich kritisch mit modernen Methoden der Werbung und Beeinflussung und insbesondere mit der subliminalen Werbung auseinandersetzte - also mit Werbung in Film und Fernsehen, die so kurzzeitig präsentiert wird, dass sie zwar vom Auge erfasst, aber nicht bewusst wahrgenommen wird. Dabei bezog sich Packard auf die "Iss-Popcorn-trink-Cola-Studie" des Werbefachmanns James Vicary, die in kürzester Zeit für weltweites Aufsehen sorgte. Danach soll die in Kinos für jeweils einige Sekundenbruchteile wiederholt in den Film eingeblendete Aufforderung, Popcorn und Cola zu bestellen, zu einer signifikanten Umsatzsteigerung der beiden Produkte geführt haben. Die allgemeine Aufregung um diese perfide Beeinflussungsmethode war groß. Vicarys Studie hatte allerdings einen klitzekleinen Schönheitsfehler: Sie existierte überhaupt nicht. Schon früh gab es Zweifel, und 1962 gab Vicary zu, dass er seine Ergebnisse frei erfunden hatte, um Werbung für sich und seine eigene Werbeagentur zu machen. Trotzdem gab es auch später noch Auseinandersetzungen um die subliminale Werbung, sowohl was die Wirksamkeit als auch was die ethische Vertretbarkeit betrifft.

... und sein unheimlicher Hund
1958 war der Hype noch auf dem Höhepunkt, und da blieb Hollywood nicht außen vor. Statt dem Zuschauer Kaufaufforderungen unterzujubeln, könnte man ihm ja auch Botschaften vermitteln, die die Wirkung des jeweiligen Films verstärken, beispielsweise einen Horrorfilm noch furchterregender machen. Es war keines der großen Studios, die diese aus heutiger Sicht eher dämliche Idee umsetzte, sondern eine Firma mit dem Namen Precon Process & Equipment Corporation, was wohl für preconscious processing (vorbewusste Verarbeitung) stehen sollte. MY WORLD DIES SCREAMING war der erste Film der Firma, und im Gegensatz zu den (vorgeblichen) Praktiken der Werbewirtschaft agierte man hier nicht im Geheimen, sondern hängte es an die große Glocke, was man da machte. Weil das mit einem griffigen Schlagwort am besten geht, erfand man dafür den Begriff "Psychorama", auch "Psycho-Rama" geschrieben. In der ursprünglichen Version von MY WORLD DIES SCREAMING wandte sich Hauptdarsteller Gerald Mohr vor und nach dem Film an das Publikum und erklärte, was da ablief. Dieser Vor- und Nachspann wurde bei der Neuveröffentlichung als TERROR IN THE HAUNTED HOUSE weggelassen, man kann sich aber eine ähnliche Einführung von Mohr zum Nachfolgefilm DATE WITH DEATH ansehen.

Gefälliges Spiel mit Licht und Schatten
Wie oben im Text schon angedeutet, sind die eingeblendeten Bilder und Texte in MY WORLD DIES SCREAMING nicht wirklich subliminal. Man erkennt zwar nicht, was es ist, aber auf YouTube (und wie man liest, auch auf DVD) bemerkt man sehr deutlich, dass da plötzlich etwas ist, was da nicht hingehört. Mag sein, dass es im Kino etwas weniger auffällig ist, aber für den bewussten Verstand wirklich unsichtbar ist es sicher auch dort nicht. Dazu müsste sich die Zeitspanne im unteren Millisekundenbereich bewegen, aber ein Kinobild dauert halt nun mal 1/24 Sekunde. Mit einem normalen Kinoprojektor geht das nicht schneller - man müsste zusätzlich spezielle Geräte einsetzen, sogenannte Tachistoskope. Aber das war natürlich nur in der Forschung, aber nicht im kommerziellen Kino-Einsatz tragbar. Auch aus einem anderen Grund war der Einsatz der Technik bei MY WORLD DIES SCREAMING eher unorthodox: Die eingeblendeten Bilder sind teilweise eher bescheuert als furchterregend - die hier präsentierten Beispiele sprechen für sich. Man fragt sich ohnehin, wie weit die Macher des Films überhaupt an die Wirkung ihrer unterschwelligen Bilder glaubten. Dass "Psychorama" eine Werbemasche war, ist klar, aber war es nur das? Oder war man bei Precon Process & Equipment von der Wirkung der "revolutionären Technik" überzeugt? Der Film selbst gibt darauf keine Antwort, aber die Firma entwickelte anscheinend auch Gerätschaften zur Umsetzung der Technik, und Hal Becker und Robert Corrigan, offenbar die Vordenker (und vielleicht Besitzer) von Precon Process & Equipment, veröffentlichten auch ein Buch zum Thema (Corrigan, R.E. / Becker, H.C.: Subliminal communication processes. Status and possibilities. New Orleans: Precon Process and Equipment Corp. 1958). Wie auch immer - die Masche lief sich schnell tot. 1959 produzierte die Firma noch den schon erwähnten Nachfolgefilm DATE WITH DEATH (wieder mit Harold Daniels als Regisseur und Gerald Mohr in der Hauptrolle, aber ohne Cathy O'Donnell), und das war es dann. Dennoch lebte die Idee gelegentlich wieder auf - man denke an den Penis in FIGHT CLUB.


Ich möchte MY WORLD DIES SCREAMING nicht schlechter machen, als er ist. Die Story ist nicht sehr originell, aber auch nicht wirklich schlecht, und Cathy O'Donnell und Gerald Mohr bieten in ihren Rollen durchaus ordentliche Leistungen. Mohr war ein grundsolider und umfassend gebildeter Schauspieler mit vielen Film- und später vor allem Fernsehrollen, und er war ein gefragter Radiosprecher mit mehr als 500 Auftritten. Seine Schauspielerlaufbahn begann er in New York in Orson Welles' Mercury Theatre (bei TOO MUCH JOHNSON hat er aber anscheinend nicht mitgespielt). Cathy O'Donnell hat weit weniger Rollen vorzuweisen, aber darunter befinden sich Hochkaräter wie THE BEST YEARS OF OUR LIVES von William Wyler (der kurz darauf ihr Schwager wurde), THEY LIVE BY NIGHT von Nicholas Ray, THE MAN FROM LARAMIE von Anthony Mann und als ihr letzter Kinofilm BEN HUR. Auch Regisseur Harold Daniels kann nur ein schmales Œuvre vorweisen, aber ohne für mich erkennbare Highlights (ich kenne aber außer MY WORLD DIES SCREAMING nichts davon). Ein Pluspunkt des Films ist die gelungene Kameraarbeit von Frederick E. West, der kompetent mit Licht und Schatten umgeht. Nichts Spektakuläres, nichts, was man nicht auch in vielen anderen Horror- (und älteren Noir-)Filmen sehen kann, aber gediegenes Handwerk. - Die 1987 auf Video veröffentlichte leicht gekürzte Fassung des Films gibt es auch auf DVD und auf YouTube.

Die Firma, die den Film auf Video herausbrachte, fügte subliminale Werbung
für sich selbst hinzu. Woher sie diese Idee nur hatten?

Samstag, 6. September 2014

Ein neuer Stummfilm von Orson Welles

TOO MUCH JOHNSON
USA 1938/2013
Regie: Orson Welles
Darsteller: Joseph Cotten (Augustus Billings), Edgar Barrier (Leon Dathis), Arlene Francis (Mrs. Dathis), Virginia Nicolson (Leonore Faddish), Ruth Ford (Mrs. Billings), Mary Wickes (Mrs. Upton Batterson), vielleicht Orson Welles (Keystone Kop)

Ein Keystone Kop - aber wahrscheinlich nicht Orson Welles
Ein neuer Film von Orson Welles? Natürlich nicht wirklich, schließlich ist der Meister schon seit 1985 tot. Aber ein Film, der unvollendet blieb und nicht aufgeführt wurde, der lange als verloren galt und 2008 wundersamerweise wieder auftauchte, der letztes Jahr zum ersten Mal öffentlich vorgeführt wurde, und der neuerdings allgemein zugänglich ist. Ein Stummfilm ist TOO MUCH JOHNSON in zweierlei Hinsicht: Erstens wurde er ohne Tonspur aufgenommen, und zweitens imitiert er Hollywoods Slapstick-Komödien aus der Ära eines Mack Sennett. Schon in THE HEARTS OF AGE, seinem ersten Film (oder seinem zweiten, wenn man TWELFTH NIGHT von 1933 mitzählt, aber das ist nur eine mit völlig statischer Kamera abgefilmte Theaterprobe eines Stücks, das Welles inszeniert hatte), versuchte sich Welles auf ähnlichem Gebiet. Er inszenierte THE HEARTS OF AGE gemeinsam mit seinem Schulfreund William Vance 1934 anlässlich eines Schulfestes an der früheren Schule der beiden in Woodstock, Illinois (nicht zu verwechseln mit Woodstock, New York). Es handelt sich um eine kurze Parodie auf die surrealistischen Stummfilme von Buñuel/Dali und Jean Cocteau, mit Welles als einer Figur irgendwo zwischen Dr. Caligari und dem Joker. 1938 produzierte Welles das legendäre Hörspiel "The War of the Worlds" sowie eine ganze Reihe weiterer Hörspiele (die man alle hier herunterladen kann), und er wirkte als Regisseur, Schauspieler und in multipler sonstiger Funktion am Mercury Theatre, das er und John Houseman 1937 in New York gegründet hatten. Eines der Stücke, die 1938 auf dem Spielplan standen, war "Too Much Johnson", ein 1894 geschriebener Schwank von William Gillette (1853-1937), einem seinerzeit sehr bekannten und beliebten Schauspieler und Bühnenautor, der vor allem für seine Darstellung von Sherlock Holmes berühmt war. In "Too Much Johnson" wird Augustus Billings, ein New Yorker Playboy (der den falschen Namen Johnson benutzt), vom eifersüchtigen Ehemann seiner Geliebten bis nach Kuba (wo noch ein echter Johnson in die Handlung eingreift) verfolgt.

Joseph Cotten und Arlene Francis
Welles kam nun auf den Gedanken, die Aufführung mit einem dreiteiligen Film von ungefähr 40 Minuten Länge zu ergänzen: Die einzelnen Teile von 20, 10 und nochmal 10 Minuten sollten jeweils einen der drei Akte des Stücks einleiten. Die Idee war nicht neu - so entstand etwa René Clairs erster Film ENTR'ACTE (1924) als Pausenfüller für ein von Francis Picabia ausgestattetes Ballett, und 1923 drehte Sergej Eisenstein seinen ersten Kurzfilm GLUMOWS TAGEBUCH zur Anreicherung eines von ihm inszenierten Theaterstücks. Um die Aufführungen durch die Filmsequenzen nicht zu sehr aufzublähen, wurde im Gegenzug Gillettes Stück von Welles stark gekürzt (Welles schreckte auch nicht davor zurück, Shakespeare stark zu kürzen, da war das bei Gillette ein Klacks). Für den geplanten Film schrieb Paul Bowles eine Musik, die bei den Aufführungen live hätte gespielt werden sollen. Bowles ist zwar viel bekannter als Schriftsteller ("Himmel über der Wüste", verfilmt von Bertolucci), aber er war auch Komponist.

Slapstick auf den Dächern von New York
Die Darsteller in TOO MUCH JOHNSON kamen überwiegend vom Mercury Theatre und von Welles' Hörspiel-Truppe. Für etliche, darunter Joseph Cotten, war es der erste Filmauftritt, und einige, neben Cotten etwa Erskine Sanford, traten auch in späteren Welles-Filmen regelmäßig auf. Ebenfalls zur Besetzung gehörte Welles' erste Ehefrau Virginia Nicolson (manchmal auch "Nicholson" geschrieben), die auch schon in THE HEARTS OF AGE mitgespielt hatte. Welles selbst übernahm vielleicht die Rolle eines Keystone Kops (siehe Update). In zehn Tagen drehte Welles mit seinen Schauspielern ungefähr 7600 Meter Film (was über viereinhalb Stunden Laufzeit entspricht). Daraus schnitt er selbst in dem New Yorker Hotel, in dem er wohnte, mit einer Moviola eine Rohfassung von 66 Minuten Länge. Über diesen Zustand kam TOO MUCH JOHNSON jedoch nicht hinaus. Verschiedene Gründe könnten dazu beigetragen haben, dass er unvollendet blieb, aber über die Gewichtung herrscht Unklarheit. Nach einer Kurzversion von 1900 hatte 1919 Donald Crisp Gillettes Stück für Paramount verfilmt, und 1938 besaß Paramount die Filmrechte immer noch und ließ Welles angeblich über einen Anwalt ausrichten, dass er die Rechte nicht umsonst, sondern nur gegen eine beträchtliche Lizenzgebühr haben könne. Eine heuer durchgeführte ausgiebige Recherche in den Archiven von Paramount hat allerdings keine Belege für diese Version erbracht. Welles war damals anscheinend knapp bei Kasse, jedenfalls soll es Beschwerden von einigen der Schauspieler gegeben haben, dass sie ihre Gage unvollständig oder verspätet erhielten, und das Kopierwerk soll die bearbeiteten Filmrollen nur noch gegen Vorkasse herausgerückt haben. Die Inszenierung des Stücks hatte im August 1938 einen Probelauf in einem Theater in der Nähe von New Haven, Connecticut, und angeblich stellte sich heraus, dass dieses Theater überhaupt nicht für die Projektion von Filmen gerüstet war. Allerdings war das Theater ursprünglich ein Nickelodeon, was auch diese Version etwas zweifelhaft erscheinen lässt. Vielleicht lief Welles einfach nur die Zeit weg, weil er den Aufwand unterschätzt hatte, und weil er und ein Teil der Besetzung gleichzeitig noch mit der regelmäßigen Radio-Arbeit beschäftigt waren. Jedenfalls lief die Inszenierung in Connecticut ohne den Film (und damit auch ohne Bowles' Musik, die dieser etwas umarbeitete und 1939 separat veröffentlichte). Das ohne Film und in der gekürzten Form offenbar nur noch mäßig interessante Stück fiel bei Publikum und Kritik in Connecticut durch, und der eigentlich vorgesehene Lauf in New York wurde daraufhin abgesagt - und das war es dann mit TOO MUCH JOHNSON. Der erste Eintrag in der betrüblich langen Liste von Welles' unvollendeten Filmprojekten war geboren.

Virginia Nicolson (links) und Ruth Ford
Was danach mit dem 66-minütigen "Workprint" geschah, ist nicht bekannt. Welles entdeckte das Material Ende der 60er Jahre in der Villa bei Madrid, die er damals bewohnte, aber er konnte sich seiner Aussage nach nicht erinnern, ob es sich immer in seinem Besitz befunden hatte. Der Zustand der Filmrollen war laut Welles damals ausgezeichnet. Eine nachträgliche Veröffentlichung zog er nicht in Betracht, weil sie ihm ohne das Theaterstück als sinnlos erschien, aber er hatte die Idee, eine fertig geschnittene Fassung Joseph Cotten als Geschenk zu überlassen. Doch dazu kam es nicht mehr. Als Welles 1970 zu Dreharbeiten abwesend war, brannte die Villa aus, und der leicht entflammbare Nitrofilm löste sich in Rauch auf (so die offizielle Version - mehr dazu unten im Update). Wie jedermann einschließlich Welles selbst (oder doch nicht?) glaubte, war TOO MUCH JOHNSON damit endgültig verloren. Doch 2008 tauchte völlig unverhofft in einem Lagerhaus in Pordenone in Friaul (wo regelmäßig das bekannte Stummfilmfestival stattfindet) eine intakte Kopie auf. Zunächst kümmerten sich die in Pordenone ansässige Einrichtung Cinemazero und die Cineteca del Friuli darum, dann das George Eastman House in Rochester, New York. In einer international koordinierten Anstrengung dieser Institutionen und eines spezialisierten Filmlabors, unterstützt durch eine Geldspritze der amerikanischen National Film Preservation Foundation (die u.a. durch die verdienstvolle DVD-Reihe Treasures From American Film Archives hervorgetreten ist), wurde TOO MUCH JOHNSON sorgfältig restauriert. Im Oktober 2013 hatte der wiederauferstandene Film unter großem Publikumsandrang (es mussten zusätzliche Aufführungen anberaumt werden) seine Premiere beim Stummfilmfestival in Pordenone - welchen besseren Ort hätte es dafür geben können? Und seit zwei Wochen kann man TOO MUCH JOHNSON auf der Website der National Film Preservation Foundation legal, kostenlos und in guter Qualität herunterladen oder als Stream ansehen, und zwar gleich in zwei Versionen: der komplette 66-minütige Workprint (ca. 1 GB) und eine daraus erstellte 34-minütige Version (ca. 560 MB), die mit einigen erklärenden Zwischentiteln ergänzt wurde, und die vielleicht dem nahekommt, was sich Welles seinerzeit vorgestellt hatte. Wobei betont wird, dass das nur ein Versuch ist, und dass andere Versuche möglich und wünschenswert sind. Beide Versionen wurden mit einer neuen stummfilmgemäßen Klavierbegleitung von Michael D. Mortilla versehen.

Nochmal Cotten und Francis
Man sollte kein CITIZEN KANE 0.9 von TOO MUCH JOHNSON erwarten - natürlich nicht. Selbst wenn Welles den Film vollendet hätte, würde da zuviel fehlen, vom kongenialen Kameramann Gregg Toland bis zu den materiellen Möglichkeiten eines großen Hollywood-Studios. Und durch den vorgesehenen Einsatzzweck geht im zweiten und dritten Teil die inhaltliche Kohärenz doch etwas verloren - schließlich hätte ein Teil der Geschichte auf der Bühne erzählt werden sollen, und das können die Zwischentitel nur teilweise kompensieren. Doch TOO MUCH JOHNSON ist trotzdem eine interessante und unterhaltsame Talentprobe mit witzigen Ideen und gelungenem Slapstick. Auch ohne den überlebensgroßen Namen "Orson Welles" wäre er durchaus einen Blick wert.

UPDATE (11. September): In IMDb, Wikipedia und anderswo ist zu lesen, dass Welles in TOO MUCH JOHNSON eine Rolle als einer der Keystone Kops übernommen hat, und ich hatte das zunächst so in den Artikel übernommen. Quelle für diese Behauptung scheint ein Interview zu sein, das Welles 1978 einem Frank Brady gab, und das in der Zeitschrift American Film erschien. Doch Welles ist bekannt dafür, dass man nicht alles glauben darf, was er in Interviews erzählte, und laut Auskunft der National Film Preservation Foundation glaubt Prof. Scott Simmon, der für die Foundation die 34-minütige Schnittfassung erstellte und die beiden Begleittexte auf den Download-Seiten schrieb, dass es sich dabei um ein falsches Gerücht handelt. Es könnte also sein, dass Welles gar nicht mitspielt.

In IMDb und Wikipedia wird Mrs. Billings' Mutter Mrs. Upton Battison geschrieben, in den Zwischentiteln dagegen Mrs. Upton Batterson. Letzteres ist richtig, wovon ich mich hier überzeugt habe.

ZWEITES UPDATE: Wie der Welles-Experte Joseph McBride in diesem Artikel berichtet, hat sein spanischer Kollege Esteve Riambau in diesem August etwas Licht in die Frage gebracht, wie TOO MUCH JOHNSON überlebt haben könnte. Laut einem spanischen Zeitungsartikel von 1970 und Auskunft von Juan Cobos, der Welles' Regieassistent beim in Spanien gedrehten FALSTAFF (1965) war, gab es zwar ein Feuer in der Villa (die während einer längeren Abwesenheit von Welles von dem Schauspieler-Paar Robert Shaw und Mary Ure gemietet war), aber das war schnell gelöscht und betraf nur einen Raum, während die Filmrollen sicher im Keller lagerten. In seinen späteren Erzählungen hat Welles das Ausmaß des Feuers also stark übertrieben. Es scheint nun, dass Welles selbst, der 1969/70 einige Zeit in Rom arbeitete, die Filmrollen dorthin mitgenommen haben könnte (von wo sie später über Vicenza nach Pordenone kamen), sei es, um den Film fertig zu schneiden (vielleicht, um ihn Cotten zu schenken), sei es, um ihn vor neugierigen Filmhistorikern zu verbergen, die an der von ihm selbst lange verbreiteten Legende rüttelten, CITIZEN KANE sei sein erster Film gewesen (Welles war auch gar nicht froh, als McBride 1970 den lange verschollenen THE HEARTS OF AGE in einem Archiv aufstöberte). Welles könnte die Filmrollen in Rom zurückgelassen haben, als er etwas überstürzt abreiste, nachdem seine Affäre mit Oja Kodar bekannt wurde und ihm die Sensationspresse auf den Fersen war. Jedenfalls scheint Welles auch schon über TOO MUCH JOHNSON (wie über diverse andere Aspekte seines Lebens und Schaffens) ein Gespinst aus Legenden gestülpt zu haben, in dem sich auch seriöse Institutionen wie das George Eastman House und die National Film Preservation Foundation verfingen und deshalb teilweise falsche oder widersprüchliche Informationen verbreiten. Nach Rücksprache mit dem italienischen Filmhistoriker Paolo Cherchi Usai vom George Eastman House, der auch mit Pordenone verbunden ist, verlegt McBride die eigentliche Entdeckung und Identifizierung der Filmrollen auf Ende 2012. Das ist auch plausibler als eine Entdeckung schon 2008 (wie sie in den meisten Berichten behauptet wird), denn in diesem Fall hätte die Restaurierung nicht nur fünf Jahre gedauert, sondern auch ebenso lange geheim gehalten werden müssen (die Presse berichtete erst 2013 über die Wiederentdeckung). Nur langsam lichten sich die Nebel um TOO MUCH JOHNSON, und manches wird wohl für immer ein Mysterium bleiben.

Liebhaber und gehörnter Ehemann am Ende auf seltsame Weise vereint

Dienstag, 26. August 2014

Hans räumt die Trümmer weg: Kurzbesprechung ...UND ÜBER UNS DER HIMMEL

...UND ÜBER UNS DER HIMMEL
Deutschland 1947
Regie: Josef von Báky
Darsteller: Hans Albers (Hans Richter), Paul Edwin Roth (Werner Richter), Lotte Koch (Edith Schröder)


Hans kehrt nach dem Krieg in seine Heimat zurück und findet seine Wohnung stark beschädigt vor. Davon lässt er sich keineswegs unterkriegen und macht sich gleich an den Wiederaufbau. Er ist guter Dinge, denn einerseits wird ihm mitgeteilt, dass sein Sohn Werner bald ebenfalls zurückkehren wird, andererseits bandelt er mit der Kriegswitwe Edith an, die in der benachbarten Wohnung lebt. Lebensmittel bekommt Hans vom Schwarzmarkt, und rasch merkt er, dass er durch eigene Schiebergeschäfte wesentlich besser die Renovierung seiner Wohnung finanzieren kann. Sein Sohn Werner sieht das bei seiner Rückkehr gar nicht gerne – eigentlich „sieht“ er es zunächst nicht, denn er ist kurzzeitig aufgrund nervlicher Belastungen erblindet. Einerlei: rasch drängt Werner seinen Vater Hans dazu, die Schiebergeschäfte sein zu lassen und wieder seine Vorkriegsarbeit als Kranführer aufzunehmen...

...UND ÜBER UNS DER HIMMEL ist der erste deutsche Nachkriegsfilm, der unter Lizenz der US-amerikanischen Besatzungsmächte produziert wurde. Er gilt zugleich auch als der erste deutsche Starfilm nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Hans Albers, der schon in den 1910er Jahren seine Leinwandkarriere begonnen und sich besonders im Laufe der 1930er Jahre zum Star und Publikumsmagneten entwickelt hatte, feierte hier gewissermaßen seinen richtigen Nachkriegs-Comeback nach knapp über zwei Jahren Abwesenheit von der Leinwand – seinen letzter Auftritt hatte er in GROßE FREIHEIT NR. 7 (ein „Überläufer“: gedreht noch während des Kriegs, Premiere im September 1945). ...UND ÜBER UNS DER HIMMEL ist ganz und gar auf Albers zugeschnitten. Sein Charisma trägt den kompletten Film – dass jemand anders die Rolle des lebhaften, bodenständigen, charmanten und gewitzten Hans Richters spielen könnte, ist eigentlich undenkbar. Seine Darstellung wird gleichwohl ausgezeichnet von der dynamischen Inszenierung des ungarischen Regisseurs Josef von Báky unterstützt, der hier nach MÜNCHHAUSEN erneut mit dem Star zusammenarbeitete.

Das „Lexikon des Internationalen Films“ bezeichnet ...UND ÜBER UNS DER HIMMEL als „durch oberflächlichen Optimismus und schwülstige Wiederaufbau-Tendenz gekennzeichnet“. Dem negativen Ton dieser Einschätzung mag ich mich nicht anschließen – der Film und Albers machen einfach zu viel Spaß! –, aber sie enthält dennoch eine treffende Aussage. ...UND ÜBER UNS DER HIMMEL ist tatsächlich ein „optimistischer“ Film und er leistet alleine im Vorspannlied all das, wofür viele andere Trümmerfilme dieser Ära ihre ganze Laufzeit brauchen: den Übergang von der Larmoyanz zum puren Wiederaufbauoptimismus.

Es weht der Wind von Norden
Er weht uns hin und her
Was ist aus uns geworden
Ein Häufchen Sand am Meer
Der Sturm jagt das Sandkorn weiter
Dem unser Leben gleicht
Er fegt uns von der Leiter
Wir sind wie Staub, so leicht
Was soll denn werden, es muss doch weitergehen
Noch bleibt ja Hoffnung, für uns genug bestehen
Wir fangen alle von vorne an
Weil dieses Dasein auch schön sein kann
Der Wind weht von allen Seiten
Na lass den Wind doch wehen
Denn über uns der Himmel lässt uns nicht untergehen
Lässt und nicht untergehen

Von einer selbstmitleidsgetränkten Selbstbeschreibung als völlig hilflose Opfer unkontrollierbarer Kräfte („Er weht uns hin und her“) bis zum strahlend-naiven Appell an den Wiederaufbau („Wir fangen alle von vorne an“) in zwei Minuten! Eric Rentschler bezeichnete das Wegräumen der Trümmer und den bestimmten Gang in eine bessere Zukunft als „manifest destiny“ des Trümmerfilms. ...UND ÜBER UNS DER HIMMEL ist ein besonders schöner Beweis für diese These: so schwungvoll und lustig werden Trümmer in kaum einem anderen Film der Ära weggeräumt. In der Vergangenheit rumzustochern würde den Spaß am Wiederaufbau jedoch zu sehr verderben: sich etwa daran zu erinnern, dass die Trümmer die Folgen eines genozidalen Kriegs waren, der von Deutschland entfesselt wurde und schließlich teils nach Deutschland zurück... „wehte“. Ein junger Mann, der in der Nachbarschaft Hans‘ lebt, grübelt immer wieder über seine Vergangenheit als Soldat, bereut, dass er nur „Richtung halten, Stellung halten, Schnauze halten“ gelernt hat und nun im zivilen (Postnazi-?) Leben nichts kann. Dieses Grübeln bekommt ihm gar nicht gut, denn am Ende des Films erhängt er sich in einer Polizeizelle, in die er nach einer Schwarzmarktrazzia gekommen ist (das ganze passiert offscreen). Hans hingegen macht es richtig: wenn er sich schon an die Vergangenheit erinnert, dann nur an die schöne Zeit des privaten Glücks mit Ehefrau und Kleinsohn vor dem Krieg (vor der Nazizeit?).

„No past to hide, no guilt to process, no ghosts to slay“, so Robert R. Shandley in seinem Buch Rubble Films: German Cinema In The Shadow Of The Third Reich über die Grundkonstellation von ...UND ÜBER UNS DER HIMMEL. Die einzige Schuld, die tatsächlich bewältigt werden muss, ist Hans‘ Beteiligung am Schwarzmarkt. Da wir hier von Hans Albers sprechen (es scheint kein Zufall zu sein, dass seine Persona dank des gemeinsamen Vornamens geradezu mit der Figur zusammenschmilzt), ist das alles nicht so schwierig: Hans hört einfach mit dem Schwarzhandel auf, übergibt seine Schwarzhandelkollegen bzw. nunmehr Ex-Schwarzhandelkollegen der Polizei und arbeitet fortan legal als ehrlicher Kranführer, während mit Edith eine nette Frau zu Hause glücklich sein kann, täglich am Herd auf seine Rückkehr warten zu können. So einfach kann Schuldbewältigung sein – und so vergnüglich verpackt.


...UND ÜBER UNS DER HIMMEL ist in Deutschland auf DVD erhältlich: Ton und Bild sind sehr gut.

Montag, 18. August 2014

Was hat Woody Allen mit Henry Kissinger und Richard Nixon zu tun?

Ganz einfach: Ersterer hat die beiden letzteren in einer Mockumentary für das amerikanische Fernsehen veräppelt.

MEN OF CRISIS: THE HARVEY WALLINGER STORY
USA 1971
Regie: Woody Allen
Darsteller: Woody Allen (Harvey Wallinger), Louise Lasser (Wallingers frühere Geliebte), Diane Keaton (Renata Wallinger), Richard M. Dixon (Richard M. Nixon) u.a.
Mit Archivaufnahmen von Richard M. Nixon, Hubert H. Humphrey, George C. Wallace, J. Edgar Hoover, Spiro T. Agnew, Melvin Laird, John N. Mitchell, Martha Mitchell u.a.

Wir sehen eine 25-minütige Folge der (fiktiven) Fernsehserie MEN OF CRISIS, die Personen des Zeitgeschehens vorstellt. Diesmal im Focus: Harvey Wallinger, ein einflussreicher Strippenzieher in der amerikanischen Politik, die Schlüsselfigur in der Nixon-Administration - ein bis zur Kenntlichkeit verfremdetes Portrait von Henry Kissinger (der damals noch nicht Außenminister, sondern Nixons Sicherheitsberater war). Ein Sprecher im Off mit markiger Stimme führt durch die Sendung.


Dr. Harvey Wallinger ist ein brillanter Intellektueller und Harvard-Absolvent (auch wenn er von seinem Jahrgang mit 95 Absolventen als 96st-bester abschnitt). Als Kind deutsch-jüdischer Einwanderer geboren, bahnt er sich von der John-Dillinger-Highschool (!) über Harvard und eine Rechtsanwaltskanzlei seinen Weg in die Politik. Sein Idol ist zunächst Joseph McCarthy. Wir erleben mit, wie Wallinger als Vorsitzender eines Ausschusses gegen kommunistische Umtriebe durch geschickte Fragen einen Zeugen soweit in die Enge treibt, dass der seine Mitgliedschaft in der subversiven Organisation Boy Scouts of America zugibt und sogar weitere Mitglieder benennt. Durch diese beeindruckende Leistung gewinnt Wallinger die Aufmerksamkeit des ebenfalls aufstrebenden Richard Nixon. Dessen Aufstieg zur Macht wird schon am Anfang des Film skizziert - mit echten Archivaufnahmen von einigen Schlüsselfiguren der politischen Szene der 60er und 70er Jahre: Am ausgiebigsten Nixon selbst, der demokratische Senator und Präsidentschaftskanditat Hubert Humphrey, der ebenfalls demokratische (aber erzreaktionäre und rassistische) Gouverneur von Alabama und Präsidentschaftskanditat George C. Wallace, FBI-Chef J. Edgar Hoover, Nixons Vizepräsident Spiro T. Agnew (der noch vor Watergate über einen eigenen Bestechungs- und Steuerskandal stolperte, weshalb nach Nixons Rücktritt nicht er, sondern Gerald Ford Präsident wurde), Nixons Verteidigungsminister Melvin Laird - wie der Off-Kommentator erklärt, hat Laird einen Plan zur Beendigung des Vietnam-Kriegs, der so kompliziert ist, dass nur zwei Leute auf der Welt ihn verstehen. Laird ist keiner der beiden. Schließlich noch Nixons Justizminister John N. Mitchell und seine extravagante Frau Martha. Mitchell war damals bereits für illegale Abhöraktionen bekannt, die er angeordnet hatte, und später stellte sich heraus, dass er tief im Watergate-Sumpf steckte. Der Intellektuelle Wallinger passt gut in dieses Team, denn Nixon und Agnew sind ja ebenfalls Intellektuelle, wie er in einem Interview sagt: "They occasionally read, and both men can write, you know, and they know all the numbers in sequence. Almost all the numbers."

Harvey Wallinger legt den Amtseid ab
Wir erfahren auch etwas über Wallingers Privatleben - eine frühere Geliebte, eine Nonne (!) und Wallingers geschiedene Frau geben Auskunft. Und Wallinger selbst bekennt im Interview, dass er Sex mag, aber nur amerikanischen Sex, keinesfalls unamerikanischen Sex. Und was ist amerikanischer Sex? "If you are ashamed of it, it's American sex. You know, it's important, if you feel guilt and shame, you know, otherwise I think sex without guilt is bad because it almost becomes pleasurable." Eines von Allens Lieblingsthemen ist hier also bereits vorhanden. - Die Archivaufnahmen sind sorgfältig ausgewählt und aus dem Zusammenhang gerissen, mit passenden anderen Aufnahmen gegengeschnitten (etwa eine Rede von Wallace mit einem Publikum, das komplett aus Mitgliedern des Ku-Klux-Klans besteht) und mit Kommentaren des Sprechers versehen, so dass der komplette Politikbetrieb ins Lächerliche gezogen wird. Die Bandbreite reicht dabei von scharfer Satire bis zu Kalauern. Doch manches muss von Allen gar nicht manipuliert werden, weil es sich ohnehin am Rand der Realsatire bewegt. Die Spielszenen sind geschickt mit dem Archivmaterial verschränkt - Allen übt hier schon ein bisschen für ZELIG. Neben den Allen-Regulars Louise Lasser und Diane Keaton ist Dan Frazer ein weiteres bekanntes Gesicht: Wenig später wird er als Theo Kojaks Chef McNeil auf den Bildschirmen zu sehen sein. Er hatte auch schon in Allens TAKE THE MONEY AND RUN und BANANAS mitgespielt, in MEN OF CRISIS ist er aber nur einige Sekunden zu sehen. Ebenfalls zu sehen ist der seinerzeit vielbeschäftigte Nixon-Lookalike Richard M. Dixon (natürlich hieß er nicht wirklich so).

Harvey Wallinger und sein Chef
MEN OF CRISIS: THE HARVEY WALLINGER STORY wurde Ende 1971 in kurzer Zeit geschrieben und gedreht, als Allen zwischen PLAY IT AGAIN, SAM und EVERYTHING YOU ALWAYS WANTED TO KNOW ABOUT SEX einige Wochen Zeit hatte. Er hätte im Februar 1972 im Sendernetzwerk PBS ausgestrahlt werden sollen, doch kurz vor dem Sendetermin bekamen die Verantwortlichen kalte Füße, und die Ausstrahlung wurde abgesetzt. Auch später wurde die HARVEY WALLINGER STORY nie gesendet, und Allens Entschluss, nur noch für das Kino zu arbeiten, wurde dadurch stark befördert. Nachdem der Film lange im Verborgenen schlummerte, tauchte 1997 eine etwas lädierte Kopie aus Privatbesitz auf und wurde an die beiden Häuser des Museum of Television & Radio in New York und Los Angeles übereignet, wo man den Film seitdem ansehen kann. MEN OF CRISIS: THE HARVEY WALLINGER STORY taucht gelegentlich auf YouTube auf - derzeit ist er gerade hier (mit italienischen Untertiteln) zu finden.