Freitag, 3. Dezember 2010

Japanisches Wagnis

Gegen Ende meiner Blogger-Ferien - es wird langsam zur üblen Gewohnheit - halten mir liebe Freunde den Revolver an die Schläfe und fordern ultimativ die Besprechung eines von ihnen bestimmten Films. Dieses Mal machen sie es mir besonders schwer; denn das Werk, mit dem ich um mein mehr oder weniger blühendes Leben kämpfen soll, stammt aus Japan - und jeder, der mich kennt, weiss, dass ich weder von der japanischen Kultur noch vom japanischen Film auch nur die geringste Ahnung habe. --- Immerhin: Für einmal liess man mir wenigstens ein paar  unbezahlbare anonyme  Informationen zukommen, die ich lediglich in ungelenke Sätze verpacken muss. Lassen wir uns also auf das japanische Wagnis ein! Es ist mein erstes und wird vermutlich auch für lange Zeit mein letztes bleiben...

Seisaku's Wife
(Seisaku no tsuma, Japan 1965)

Regie: Yasuzo Masumura
Darsteller: Ayako Wakao, Takahiro Tamura, Nobuo Chiba, Yuzo Hayakawa, Yuka Konno, Mikio Narita u. a.


Yasuzo Masumura (1924 - 1986) gilt in der westlichen Hemisphäre als einer der grossen Unbekannten des japanischen Kinos. Dies hat nur unwesentlich damit zu tun, dass über einige Details aus seinem Leben lediglich Spekulationen angestellt und manche seiner  Entscheidungen kaum nachvollzogen werden können. Es liegt vor allem daran, dass uns nicht mehr als ein Bruchteil seiner 58 Filme wenigstens mit englischen Untertiteln zugänglich ist, was es nahezu verunmöglicht, seine Bedeutung als Regisseur einer Übergangszeit  angemessen zu würdigen und Konstanten in einem offenbar äusserst vielgestaltigen, möglicherweise qualitativ höchst unterschiedlichen Werk auszumachen.

Masumura, der schon als Jugendlicher ein begeisterter Kinogänger war, brach sein Jura-Studium ab, um als Regieassistent bei Daiei arbeiten zu können.  Ein Stipendium ermöglichte es ihm später als erstem Japaner, in Rom unter Visconti, Fellini und Antonioni, mit dem er sich befreundet haben soll, Regie zu studieren. Nach seiner Rückkehr 1955 arbeitete er erneut bei Daiei, blieb dem japanischen Studiobetrieb auch weitgehend treu und drehte bis zu vier Filme im Jahr. - Bereits sein erster Film “Kisses” (1957), ein Misserfolg, lässt auf eine gewisse subversive Tendenz schliessen (das Zeigen von Küssen war im japanischen Film lange Zeit, genauer: bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs verboten gewesen), und später bemühte er sich noch um wesentlich grössere Tabubrüche (etwa in "Manji", 1964, dem Film über eine lesbische Liebe), mit denen er sich von der Tradition lossagte, ohne sich je dem “Nuberu Bagu”,  der japanischen Nouvelle Vague, anzuschliessen (gerade seine Filme aus den 70er Jahren sollen im Gegenteil dem “Goldenen Zeitalter” des japanischen Films, den 50er Jahren,  immer wieder ihre Reverenz erwiesen haben). Er gehört also zu jenen Figuren einer Übergangszeit, die Filmemachern wie Oshima, der ihn sehr bewunderte, und Imamura den Weg ebneten, sie inspirierten. Zu seinen Merkmalen gehören ein ausgeprägtes soziales  Bewusstsein  (“In Japanese society, which is essentially regimented, freedom and the individual do not exist.”), das er, der westlich "Geschulte", mit grossem Engagement in seine Filme einfliessen liess, und die Darstellung eines übermässigen, oft sexuellen Begehrens, auf grausam schöne Weise zelebriert. - Dies sind in etwa die wenigen Dinge, mit denen sich selbst ein "Kenner" der Materie wie Jonathan Rosenbaum zufrieden geben muss, weshalb die Bewertung des Regisseurs, in dem sich die “Energien des Umbruchs” bündeln, so unterschiedlich ausfällt: Während die einen ihn für den - vermutlich neben Mizoguchi, seinem Mentor,  Ozu und Kurosawa - "vierten grossen Meister des japanischen Films" halten, betrachten ihn die anderen lediglich als überschätzten Handwerker des Studiosystems, als Regisseur von B-Filmen (obwohl doch diese westlichen Kategorien sich auf das Kino Japans gar nicht anwenden lassen).

Die 60er Jahre gelten als das Jahrzehnt, in dem Yasuzo Masumura seine besten Werke drehte; es sind auch die Jahre seiner Literaturverfilmungen. “Seisaku’s Wife” ist eine von ihnen. Die Geschichte,  derer sich 1924 bereits  Murata Minoru angenommen hatte, ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts, am Vorabend des Russisch-Japanischen Kriegs angesiedelt: Die junge Okane, Tochter eines verarmten Hafenarbeiters, hat sich mit einem älteren wohlhabenden Mann verheiratet, um sich und ihrer Familie eine finanzielle Absicherung zu ermöglichen. Als ihr Gatte, ein fordernder, sie ständig an seine Grosszügigkeit erinnernder Widerling, bei einem Unfall ums Leben kommt, wird die “Mätresse” die von ihm schon ausreichend mit Kimonos versorgt worden sei, von der Familie mit einer kleinen Geldsumme abgespiesen. Die junge Frau kehrt zu ihren Eltern zurück, und als auch ihr Vater stirbt, verlangt die Mutter - weinerlich  und stets nur auf ihre eigenen Interessen bedacht - die Rückkehr ins Dorf, aus dem sie, das verarmte Pack, einst vertrieben worden waren.

Nun erst beginnt der eigentliche Film, den man - allerdings keineswegs im abwertenden Sinne - als Heimatfilm bezeichnen könnte. Ein paar wenige Bilder vermitteln uns eine Ahnung von dem abgeschiedenen Ort, an dem sich das zukünftige Geschehen abspielen wird: ein Weg, eine Brücke, der Berg, dem wir immer wieder begegnen werden,  ärmliche Häuser - und schon sieht man die Weiber, die beim Waschen einer Kuh am Fluss über die Zurückgekehrte lästern. Einst sei sie verjagt worden, jetzt bilde sie sich etwas ein auf ihre vielen Kimonos und ihr Vermögen. Man werde sich auf keinen Fall mit ihr abgeben, sondern ihr, der abgeschieden Lebenden, weiterhin die kalte Schulter zeigen. Ähnlich, wenn auch scheinbar gesitteter, äussern sich die Männer des Dorfs: Okane und ihre Mutter hätten ja gar kein Interesse am Dorfleben. Weshalb also sollte man sie in die Gemeinschaft aufnehmen? - Eine Verweigerng der Integration ins Kollektiv, wie sie einem in westlichen Heimatfilmen ebenfalls immer wieder begegnet, offensichtlich sogar universellen Charakter hat.

Kurz darauf findet auch eine ganz anders geartete Rückkehr ins Dorf statt: Seisaku, als Kriegsheld geehrt, wird von der Gemeinschaft mit jenem überbordenden Patriotismus empfangen, der beinahe den Eindruck erweckt, er, der “Vorzeigesoldat”, vermöge den Krieg ganz alleine zu gewinnen - und werde seinem Dorf Ehre machen. Seisaku jedoch selber stellt sich ein wenig über die Gemeinschaft: Er hat sich von seinem Sold eine handgefertigte Glocke machen lassen, mit der er die Leute jeden Morgen aus dem Schlaf reisst. Das Kollektiv begrüsst zu Beginn seine Idee, wirft dem Vorzeigesoldaten hinter dessen Rücken jedoch schon bald herrisches Gehabe vor.

Als Okanes Mutter stirbt, steht ausgerechnet Seisaku der jungen Frau bei und hilft ihr bei den Vorbereitungen für die Bestattung (eines jener mächtigen Bilder: man sieht im Hintergrund den kleinen Trauerzug vorüberziehen, dem die ferngebliebenen Bauern doch neugierig nachstieren). Seisaku und die sich bislang  abweisend gebärdende “femme fatale” Okane, die sich von jetzt an auch um einen geistig behinderten Cousin, ihren zukünftigen Beschützer,  kümmern muss,  kommen sich näher. Es entwickelt sich eine sexuelle Beziehung, die sich durch Okanes unstillbares Begehren nach Macht über den Körper des Mannes auszeichnet (sie wird zum ersten Mal geliebt, Seisakus Brust dient als Ersatz für die Gemeinschaft). - Seisaku, der eigentlich eine Frau aus dem Dorf hätte heiraten sollen, teilt seiner Familie mit, dass er mit Okane zusammenleben will, was natürlich auch zu seinem Ausschluss aus dem Kollektiv führt.

Das Glück der beiden Liebenden währt nicht lange: Schon bald wird Seisaku einberufen, weil er, plötzlich wieder zum umjubelten Vorzeigesoldaten geworden, beim Kampf um Port Arthur mitmachen soll. Als er nach einer Verletzung für ein paar Tage nach Hause zurückkehrt, sich jedoch schon bald wieder am Krieg beteiligen will, entschliesst sich Okane, die - mad, bad, and dangerous - nur mit den Waffen einer Frau kämpfen kann, zu einer unvorstellbaren Gräueltat, die letztlich beide zu “Outcasts” machen wird...

All dies - die Liebesgeschichte, die Kritik an einer über das Individuum bestimmenden Gesellschaft und einem überbordenden Patriotismus -  verpackt Masumura in 93 Minuten, was nicht zuletzt deshalb möglich ist, weil er  rasche Szenenwechsel bevorzugt, unvergessliche Bilder, die mehr zu sagen vermögen als tausend Worte, erzeugt (es scheint mir gelegentlich, man erkenne durchaus den Einfluss eines Antonioni, etwa wenn Okane von einer Erhöhung aus auf den Hafen hinunterblickt oder ihr Gesicht abwendend vor dem Haus sitzt) - und  mit harten Schnitten arbeitet (falls ich dem Film aufmerksam gefolgt bin, gibt es nur einen einzigen “Übergang”: Seisaku - seiner Frau langsam verzeihend - stellt sich vor, wie Okane nach ihrer Untat im Gefängnishof, wo sie eine überdimensionale Kette hinter sich her schleift, frieren muss, all dies hinter Rauchschwaden entstehend ). - Hinzu kommt eine überwältigende (auch westlich geprägte?) Musik, die von Anfang an Trauer und Unheil verkündet.

Ayako Wakao, die nicht nur zu einem festen Bestandteil von Masumuras Ensemble geworden war, sondern zu der er auch eine unfreiwillige Abhängigkeit entwickelte (er betonte mehrmals, das launische Wesen lasse sich kaum führen!), spielt eine Okane, die in jedem Augenblick des Films unter die Haut geht; möge man sie nun als Schweigende unter dem ersten Ehemann, als leidenschaftlich Begehrende und sich zu Beginn doch Verweigernde oder als Opfer eines Kollektivs sehen, das in einer grausamen Szene seine aufgestaute Wut an der endlich zur Verbrecherin Gewordenen auslässt, sie beinahe zu Tode prügelt. - Besonders faszinierend wirkt sie in der Schlussszene als das Feld beackernde Frau, die zu ihrem hilflos gewordenen Mann hinüberblickt: Bedeutet dieser Blick  nun Liebe oder Triumph, die Befriedigung, endlich bleibend die Macht über Seisaku erlangt zu haben? - Wer die Schauspielerin in dieser - offenbar einer ihrer besten - Rolle gesehen hat, möchte augenblicklich nach anderen Masumura-Filmen  wie “Akai tenshi” (1966) oder “Tsuma futari” (1967) greifen können.


Dass ich als Japan-Neuling zu “Seisaku’s Wife” unmittelbaren Zugang fand, hat sicher in erster Linie mit dem universellen Charakter des Films zu tun, den Motiven, denen man in jedem Film, in dem ein ausgestossenes Individuum einer Gemeinschaft - mit möglicherweise verheerenden Folgen - gegenübersteht (die "Gemeinschaft" nimmt oft die Mitte des Bildes für sich in Anspruch, während die Figuren oder zumindest die Gesichter der von ihr nicht akzeptierten Individuen symbolisch an den Rand gedrängt werden), begegnet. Vor allem aber liegt es auch an der für jeden westlichen Zuschauer nachvollziehbaren Umsetzung (die Lehrjahre in Italien?) dieser Motive. - Erstaunlich, dass Yasuzo Masumura - in Japan längst zum Kult-Regisseur geworden - vom Westen dennoch nicht entdeckt wird!

Sonntag, 21. November 2010

Verzögerungsankündigung und Werbung für "Impressions."

Liebe Fangemeinde (respektive Liebe Frau Mama)!

Eigentlich sollte "Whoknows Presents" Ende November wieder auf Sendung gehen. Ein kurzer, jedoch ziemlich kräftezehrender Krankenhausaufenthalt wird leider eine unfreiwillige Verlängerung meines Urlaubs erfordern, da ich mich erholen muss und es mir nicht möglich war, alle nötigen Vorbereitungen rechtzeitig zu beenden (ich bin Steinbock, was den Abergläubischen unter uns einiges sagen dürfte). Falls jenes Wesen, das Thomas Hardy, der bekanntlich ständig mit Gott wegen dessen Nicht-Existenz haderte, unter anderem als "Immanent Will" bezeichnete, mir nicht einen Strich durch die Rechnung macht, sollte ich spätestens um den 10. Dezember rum wieder mit  einer mir aufoktroyierten Besprechung anrücken.

Dass ich mich trotzdem kurz zu Wort melde, hat mit einem Blog zu tun, auf das ich eure Aufmerksamkeit (wieder einmal) lenken möchte. Es heisst Impressions. und wird von einem jungen, filmbegeisterten Mann betrieben, den ich von einem Forum her kenne. Ich wollte diesen jungen Mann unbedingt als Gastautor, noch lieber als festen Mitarbeiter für mein Blog gewinnen, weil er nicht nur äusserst spannend zu lesende Besprechungen bekannter Filme liefert, sondern auch an Werke erinnert, von denen  man  selten etwas vernimmt. - Als er mir seine Absicht kundtat, sich mit einem eigenen Blog meiner berüchtigten Tyrannei  entziehen zu wollen, ging ich wie weiland das HB-Männchen beinahe in die Luft, setzte mich dann aber hin und genehmigte mir als Ex-Raucher keine Zigarette, sondern freute mich auf seine Einträge. --- Deshalb  meine - mittlerweile bekannte und lohnenswerte - Bitte: Nehmt den Abtrünnigen zur Kenntnis, zeigt ihm, dass ihr ihn lest und würdigt ihn! Es gibt  nämlich neben den "Etablierten" durchaus interessante Blogger, die Beachtung verdienen. "Impressions." ist einer von ihnen, und ich freue mich, auf ihn hinweisen zu dürfen.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Wie viele Oscars darf Arthur Cohn sein Eigen nennen?

Arthur Cohn ist ein Schweizer Film-Produzent, der nicht nur für das Zustandekommen äusserst erfolgreicher Filme aus verschiedenen Ländern (mit-)verantwortlich war, sondern sogar auf dem Walk of Fame mit einem Stern geehrt wurde - und dessen Namen in Hollywood jede - pardon! - Sau kennt. Da er gleichzeitig der nicht übermässig grossen Schweizer VIP-Szene angehört und an diversen Anlässen zu treffen ist, feierte ihn unsere Presse stets als sechsfachen Oscar-Preisträger. Vielleicht feierte er sich auch selber ein wenig und liess sich gern mit den sechs Statuen ablichten. Das sind allerdings die Dinge, in die der harmlose Zeitungsleser nicht so leicht Einblick erhält...

Auf jeden Fall ist unser Bundesrat (entspricht der Bundeskanzlerin mal sieben) wieder komplett, und das oft auch nur herbeigeredete Parteiengezänke dürfte die Spalten der Blätter nicht bis zur nächsten nationalen Wahl im Jahr 2011 füllen. Dieser Mangel an politischen Sensatiönchen brachte das Erzeugnis "Sonntag" mutmasslich auf den Gedanken, aus dem ehemaligen Darling Arthur Cohn einen Buhmann zu machen, der mehr für sich beanspruche als ihm tatsächlich zustehe. - Denn man entdeckte: Laut Wikipedia darf sich der plötzlich zum Aufschneider "avancierte" Cohn nur dreier Oscars rühmen, da der Oscar für den besten fremdsprachigen Film an das jeweilige Land, nicht an den Produzenten geht. Auch IMDb spricht dem Produzenten nur Academy Awards für die Dokumentarfilme "Le ciel et la boue" (1961), "American Dream" (1990) und "One Day in September" (1999) zu, während er auf diverse Nominierungen und Oscars (für "Il Giardino dei Finzi Contini", 1970, "Noirs et blancs en couleur", 1976, und "La diagonale du fou", 1984) verzichten müsste.

Nun bin ich der Meinung, jeder Produzent sei mit drei Oscars mehr als ausreichend bedient (manche Gewinner sollen den Staubfänger bekanntlich in einer Kiste im Keller lagern) und schätze es grundsätzlich, mit seinem Geld  Filme ermöglicht zu haben, die nicht so rasch in Vergessenheit geraten (u.a. auch "Les Choristes", 2004). Gerade Arthur Cohn weckte in mir immer den Eindruck, er lebe intensiv für den Film und werde lediglich von der VIP-geilen Presse ständig zum "sechsfachen Gewinner" hochstilisiert ("Lieber Herr Cohn! Dürfen wir Sie zusammen mit Ihren Oscars ablichten, bitte, bitte?"). - Jetzt aber ortet "Sonntag" Enthüllungen über einen möglichen Hochstapler, der sich stets ins Rampenlicht drängte, nicht ohne seine sechs Statuen leben kann und dessen Mitarbeiter abklären  lassen muss, ob Wikipedia die Vergangenheit falsch interpretiere, weil zur Zeit, als Cohn die ihm streitig gemachten Oscars in Empfang nahm, der Produzent tatsächlich noch der "richtige Adressat" war (Regeln ändern sich bekanntlich). 

Vielleicht ist Arthur Cohn ja tatsächlich der Gierschlund, den "Sonntag" mangels anderer Schlagzeilen aus ihm machen will; das kann, wie schon erwähnt, der harmlose Zeitungsleser - ein Umstand, der von  den Erzeugern des täglich Gepressten schamlos ausgenutzt wird - nicht nachprüfen. Vielleicht kann er auch nur über den Wirbel lachen, der um seine Person und seine ihm abgesprochenen Oscars gemacht wird. Oder er könnte darüber lachen, wäre da nicht noch ein Aspekt mit einzubeziehen, der ihn und andere Zeitgenossen mit Sorge erfüllen sollte: Cohn ist Jude! Und da man in der Schweiz unverhohlener mit verstecktem Antisemitismus arbeitet, könnte "Sonntag" auf den Gedanken gekommen sei, es sei  Zeit für eine Wiederbelebung des Bildes vom raffgierigen Juden. - Ich mute es der Zeitung, die  gelegentlich einem mir alles andere als sympathischen Teil ihrer Leserschaft entgegenkommen will, zu...

Wie dem auch sei: Ich lege als Blogger jetzt eine Pause ein - und ich bin froh, dass ich nicht so berühmt wie Arthur Cohn bin. Denn sonst könnte eine Zeitung wie "Sonntag" aus den geplanten vier bis sechs Wochen Urlaub eine Schlagzeile zimmern: "Whoknows pausiert! Tut er es für immer, weil sein Bluff aufgeflogen ist?". - Wäre dem so, böte es mir vielleicht Gelegenheit, mich  mit dem  geschundenen Produzenten in Verbindung  zu setzen, und er würde einen Film mit dem Titel "Verlogene Druckerschwärze" produzieren, für den ich das Drehbuch schreiben dürfte. Ein Regisseur vom Kaliber eines George Clooney liesse sich finden - und der Oscar ginge an das Fürstentum Liechtenstein.

Wir lesen uns!

Samstag, 9. Oktober 2010

Kurzbesprechung: El crimen del padre Amaro


Die Versuchung des Padre Amaro
(El crimen del padre Amaro, Mexiko 2002)

Regie: Carlos Carrera

Die Überarbeitung eines Romans aus dem Jahre 1875 (!) für die Leinwand rief heftige Proteste aus klerikalen Kreisen hervor und avancierte wohl nicht zuletzt deshalb zum erfolgreichsten einheimischen Film aller Zeiten. Dies dürften auch die Gründe für eine Oscar-Nominierung als "bester fremdsprachiger Film"  2003 gewesen sein.  Denn die edel bebilderte und eigentlich hervorragend gespielte  Geschichte eines jungen idealistischen, aber auch karrieresüchtigen Priesters ist zwar nicht die Soap Opera, mit der uns der verfälschte deutsche Titel droht, aber ein sich endlos dahinziehendes, letztlich oberflächliches Melodram - obwohl sie genug Stoff für spannende 114 Minuten böte:

Der frisch ordinierte Padre Amaro wird von seinem Bischof in ein abgelegenes Dorf in den Bergen geschickt, wo er den älteren Padre Benito als Assistent unterstützen und gleichzeitig einen anderen Priester, der sich auf die Seite der Guerilla geschlagen hat, im Auge behalten soll. Bald entdeckt er, dass er in einen Strudel aus Doppelmoral und Korruption geraten ist, da Padre Benito nicht nur ein Verhältnis mit einer Dorfwirtin hat, sondern auch als Geldwäscher für einen Drogenbaron fungiert. - Aber auch er  kann seinen "sündhaften" Wünschen nicht  widerstehen, und er lässt sich auf eine Beziehung mit der jungen  Amelia ein. Als diese von ihm schwanger wird, begeht er das im Originaltitel erwähnte "Verbrechen" mit unabsehbaren Folgen: Er fordert sie auf, das Kind abzutreiben...

Es geht in dem für mexikanische Verhältnisse sicher mutigen Film also letztlich nicht um die oft durchgekaute Zölibatkritik, sondern um eine der katholischen Kirche inhärente Skrupellosigkeit, die auch im jungen Padre - von Gael Garcia Bernal, dem Octavio aus Iñárritus Meisterwerk "Amores Perros" (2000) überzeugend dargestellt - Wurzeln gefasst hat. Bernal war für mich denn auch der Anlass, mir diesen etwa gegenüber Buñuels antiklerikalen Werken stark abfallenden Film anzuschauen. Eine zweite Sichtung im Hinblick auf die Kurzbesprechung dürfte sich als die letzte erwiesen haben - obwohl man im Europa oder in den USA der Gegenwart vergeblich nach einer derart deutlichen Kritik an der katholischen Kirche Ausschau halten wird. - "El crimen del Padre Amaro" vermag die beinahe zwei Stunden Dauer einfach nicht auszufüllen, auch wenn der Priester im unbestechlichen Journalisten Ruben, der den Verwicklungen der Kirche in Drogengeschichten nachgeht, einen an sich interessanten Gegenpol erhält. Fehlender Tiefgang und inszenatorische Schwächen machten ihn zu einem Langweiler der Sonderklasse!


Dienstag, 5. Oktober 2010

Mise En Cinéma

Neben den allgemein bekannten und in vielen Webverzeichnissen auftauchenden Film-Blogs stösst man in den unendlichen Welten des Internets gelegentlich zufällig auf eine Site, die nicht in oft Blogrolls zu finden ist, obwohl sie Beachtung verdient. Vielleicht haben deren Autoren weder Zeit noch Lust, gross die Werbetrommel für sich zu rühren, vielleicht schreiben sie auch wirklich noch aus reiner Freude am Film.

Ich entdeckte Mise En Cinéma während meiner Recherchen zur Besprechung von Truffauts “La nuit américaine” und verfolge den Blogger, der sich Zeit für seine Rezensionen nimmt, seitdem mit grossem Interesse. Denn wir haben eines gemeinsam: Wir bemühen uns nicht um die ultimative Besprechung des neuesten Blockbusters, sondern schreiben über Filme, die uns - aus welchen Gründen auch immer - gerade am Herzen liegen. - Nach einer von mir leider spät entdeckten Reaktion auf einen meiner Kommentare bemerkte ich, dass der ausgezeichnete Autor des Blogs, ein Bonner Student, offenbar von anderen Leuten unserer Zunft noch nicht gross zur Kenntnis genommen wird, und ich nahm ihn ungefragt in meine Blogroll auf, weil ich ihn wenigstens meinen Lesern zugänglich machen möchte.

Deshalb meine Bitte: Schaut doch mal bei Mise En Cinéma rein! Hinterlasst vielleicht bei Gelegenheit einen Kommentar, damit er weiss, dass seine Arbeit gewürdigt wird. Seine Rezensionen sind - was euch als Ansporn dienen soll, meist kürzer gehalten als meine. Und er erklärt euch auch, wie er zu seinem interessanten Blog-Titel gekommen ist

Freitag, 1. Oktober 2010

Her mit der deutschen DVD! - die Fünfte

"Where's Brummel? Dish'd. Where's Long Pole Wellesley? Diddled.
      Where's Whitbread? Romilly? Where's George the Third?
  Where is his will? (That's not so soon unriddled.)
       And where is 'Fum' the Fourth, our 'royal bird'?
   Gone down, it seems, to Scotland to be fiddled..."
(Don Juan, Canto XI, 78)

Zu den Figuren, deren "Verlust" Lord Byron in seinem "Don Juan" gelegentlich auch ironisch in mehreren Strophen beklagt, gehört unter anderem ein gewisser George Bryan Brummell (1778 - 1840), von dem man sagt, er habe ein ganzes Zeitalter geprägt und der unter dem Namen 'Beau' Brummell in die Geschichtsbücher einging. -  Brummell war der Sohn eines Privatsekretärs und machte in der englischen Armee als Husarenoffizier Karriere. Dort freundete er sich bald mit dem Prince of Wales, dem späteren Prinzregenten und König George IV., bekannt für seinen ausschweifenden Lebensstil und seine Fresssucht (er wog 1797 bereits 111 Kilo!), an, auf den er eine Zeitlang grossen Einfluss ausübte. Nach einem Zerwürfnis - seine Hoheit ertrug die spitzen Entgegnungen des Freundes nicht mehr -  kannten Brummell's Gläubiger keine Gnade, und er musste England wegen seiner Spielschulden verlassen. - Sein eigenwilliger Modestil (er forderte nicht zu auffällige, aber genau angepasste Kleidung, sorgfältig ausgesuchte Halstücher und das Reinigen der Stiefel in Champagner) setzte sich zum Teil durch und wurde unter dem Begriff "Dandyism" bekannt. Brummell behauptete, ein anständiger Mann brauche mindestens fünf Stunden, um sich anzuziehen und müsse sich auch mehrmals am Tag umziehen. Er war  zudem  dafür verantwortlich, dass sich die Männer der "guten Gesellschaft" täglich rasierten. Byron, der zu seinen eifrigen Nachahmern zählte, meinte, es sei an sich nichts Aussergewöhnliches an Brummell's Kleidung festzustellen ausser "a certain exquisite propriety". - Das Leben des ersten Dandys wurde mehrmals verfilmt.

Beau Brummell - Rebell und Verführer
(Beau Brummell, USA/Grossbritannien 1954)

Regie: Curtis Bernhardt
Darsteller: Stewart Granger, Elizabeth Taylor, Peter Ustinov, Robert Morley, James Donald, Rosemary Harris, Paul Rogers, Noel Willman u.a.

Ich habe es an sich nicht so mit den Historienschinken, die das Hollywood der 50er Jahre als Waffe gegen das aufkommende Fernsehen einzusetzen versuchte. Besonders grosse Mühe bereiten sie mir, wenn sich Robert Taylor als römischer Kommandant (1951), Ivanhoe (1952) oder Lancelot (1953)  schwerfällig durch pompöse Kulissen bewegen  und Langeweile verbreiten muss. - Dass “Beau Brummell” in dieser Hinsicht eine Ausnahme bildet, mich sogar ausserordentlich begeistert, hat verschiedene Gründe: Zum einen wurde der farbenprächtige Film an Originalschauplätzen gedreht, was die herrliche Landschaft Englands etwa in einer Jagdszene  zur Geltung bringt und dem Zuschauer durch die in einem Landsitz in der Nähe von Windsor Castle entstandenen Innenaufnahmen eine Vorstellung von der Pracht des frühen 19. Jahrhunderts zu vermitteln vermag; zum anderen liegt es natürlich an der über weite Strecken leicht und flüssig daherkommenden Geschichte, die zwar ohne einige historische “Klitterungen” und  erfundenen Liebesschmalz nicht auskommt, diese aber dank des an sich faszinierenden Lebens des “interessantesten Mannes Europas” auf ein Minimum zu beschränken vermag. Und es hat nicht zuletzt mit dem spielfreudigen Ensemble zu tun, das den “Helden” umgibt und ihm - obwohl Stewart Granger, damals ein veritabler Star, eine gute Figur abgibt - gelegentlich sogar die Show stiehlt. (Vielleicht, dies aber mehr privat, finde ich mich auch in den schönen und weniger schönen Seiten des Phänomens Brummell ein wenig wieder.)


Der Film beginnt mit einer Veranstaltung der Husaren, an der der Prince of Wales mehr hungrig als interessiert teilnimmt und die Beau Brummell, der sich gleich in die schöne Lady Patricia verliebt, zum ersten Mal Gelegenheit bietet, sein Missfallen zu erregen. Denn Brummell sagt grundsätzlich, was er für richtig hält - und er kleidet seine Meinung in elegante Spitzen, die ein zukünftiger König nur als frech empfinden kann. Nach Brummell’s Rauswurf aus der Armee sorgt er als politischer Redner, der  die höfische Unsitte, sich die Perücken mit Mehl zu pudern, anprangert, für Furore (er zählt genau auf, wie viele Brote für hungrige Mäuler man stattdessen backen könnte). Als ihn  Prince George deswegen zu sich rufen lässt, entdeckt er rasch, dass er in Brummell eigentlich keinen Gegner hat, sondern einen Menschen, der es gut mit ihm, dem kindischen und entscheidungsunfähigen Fettwanst, meint. Er folgt deshalb nicht nur seinen - auch modischen - Ratschlägen, sondern macht ihn zu seinem engsten Vertrauten und Freund. Schon bald treten die beiden in der Öffentlichkeit immer gemeinsam auf, eine Entwicklung, die der Adel - insbesondere der konservative Premierminister  William Pitt - mit Misstrauen verfolgt.


Von nun an wird der Abenteurer Beau Brummell, der sich für seine elegante Kleidung und die prächtig ausgestattete Wohnung, in der der Prince of Wales ein- und ausgeht, in Unkosten stürzte, von seinen Gläubigern in Ruhe gelassen. Auch Lady Patricia, die eigentlich mit einem Mann von Adel, Lord Edwin, verlobt ist, vermag sich seinem Charme (er nimmt ihr die Ohrringe ab, weil ein vollkommenes Gesicht solchen Schmuck nicht nötig habe) nicht mehr zu entziehen. - Und Lord Byron, der im Film als Brummell’s Freund auftaucht, sieht im Dandy, der in “Ofenröhren” am Geburtstagsfest des Prinzen auftaucht,  sogar die Zukunft heraufkommen. Er erkennt aber auch: “The trouble with most men of superior intellect is their pride. And a proud man can be just as foolish as a fool.”

Als Premierminister Pitt den Prinzen, der seit längerer Zeit offen mit seiner Geliebten Maria Fitzherbert zusammenlebt, aus politischen und finanziellen Gründen mit einer deutschen Prinzessin verehelichen will, rät ihm Brummell, seinen Vater, den auf Schloss Windsor zurückgezogen lebenden und zunehmend in geistiger Umnachtung versinkenden  König George III. (eine kleine Glanzrolle für Robert Morley), entmündigen zu lassen und die Regentschaft zu übernehmen, womit er Pitt’s Pläne durchkreuzen könnte. Tatsächlich willigt das Parlament nur einer Regentschaft mit stark eingeschränkten Befugnissen zu, was Brummell wiederum nicht akzeptieren will. Er weckt dadurch das Misstrauen seines Freundes, der plötzlich denkt, der “Emporkömmling” habe lediglich auf einen Peer-Titel spekuliert. Es kommt zum Zerwürfnis, das seinen Höhepunkt anlässlich eines Balls findet: Brummell weigert sich, dem Prinzen seine Aufwartung zu machen, und nachdem sich Lord Byron pflichtgemäss mit diesem unterhalten hat, fragt er ihn laut vernehmlich: “Gordie, who is your fat friend?”  (Die vorlaute Frage ist meines Wissens historisch beglaubigt, war aber nicht an Byron, sondern an Lord Alvanley gerichtet.)

Beau Brummell’s Schicksal ist damit besiegelt.  Die Gläubiger stürzen sich auf ihn, und Lady Patricia zieht die ruhige Bucht an der Seite eines Adligen dem Orkan mit dem Abenteurer vor. Brummell verlässt das Land und geht zusammen mit seinem treuen Diener nach Frankreich, wo er verarmt. - Am Ende des Films kommt es zu einer berührenden Szene: Der ehemalige Freund, jetzt König George IV., sucht während eines Europabesuchs die Bleibe des Mannes auf, der ihm einst eine Schnupftabakdose schenkte, die beim Öffnen ein “He’s a jolly good fellow” spielt - und die ihn immer an ihn erinnert hat. Er findet Brummell auf dem Sterbebett, und es kommt zur späten Aussöhnung.

Curtis Bernhardt, der als Kurt Bernhardt bereits zu den gefragten Stummfilmregisseuren Deutschlands gehörte ("Schinderhannes", 1928, "Das letzte Fort", 1929), inszeniert die verschwenderisch ausgestattete Geschichte mit grossem Können, die geschliffenen Dialoge und die dem ersten Dandy angemessene fürstliche Musik von Richard Addinsell machen den Film zu einem mehr als beachtlichen unterhaltsamen Erlebnis. Peter Ustinov darf in seiner zweiten Arbeit für MGM nach “Quo Vadis” (1951) als fetter Prince of Wales wieder einen unwiderstehlichen, das Spektakel dominierenden Charaktertypen hinlegen; aber auch Elizabeth Taylor, deren Rolle sicher nicht sonderlich ausgearbeitet ist, und Stewart Granger, in Deutschland noch als “Old Surehand” in diversen Winnetou-Filmen in Erinnerung, überzeugen.

Ein Jammer, dass ausgerechnet dieser unterschätzte Historienfilm nicht endlich aufgefrischt und den Zuschauern im deutschsprachigen Raum auf DVD zugänglich gemacht wird!